Toni.
§67
einen Blick über die ganze Länge des Zimmers werfen, in welchem verschiedene Stücke eines weiblichen Anzuges umhergestreut liegen, dann geht er rasch auf den Alkoven los, offenbar in der Absicht nachzusehen, wer dort schlafe.
Ich, empört über solche unverschämte Neugier, fahre dazwischen und als er eben daran ist, die Vorhänge auseinanderzureißen, packe ich ihn mit der vollen, gesunden Kraft, deren ich mich damals erfreute, von hinten an der Schulter, zerre ihn zurück, ohne ihn loszulassen, öffne mit der freigebliebenen anderen Hand die Thür und stoße ihn in den Corridor hinaus.
Dann riegle ich zu.
Und noch immer begreife ich, in meinem vollen Zorn, das Auftreten des jungen Menschen nickt. Da ich ihn nicht davongehen höre, öffne ich wieder die Thür und sehe, daß er an der Wand lehnt wie vernichtet.
„Noch da, Unverschämter?" rufe ich ihm zu, indem ich ihm seine Mütze, die ich am Boden gesunden, Hinwerse, er aber spricht:
„Also eine Dirne geworden? Gerechter Gott — halb ein Kind noch und schon" — es war, als ob er in Weinen ausbrechen werde, doch nun geht er mit geballter Faust auf mich los: „Wer sind Sie? Wie kommen
Sie dazu . . . .?" Aber, offenbar um Skandal zu vermeiden, da sich Schritte im Corridor vernehmen lassen, mäßigt er sogleich den Ton. „Ei was!" ruft er mit heiserem Lachen, „das Wie und Wo kann mir gleichgültig sein. Aber ich treffe Sie schon noch — wir reden noch mit einander. Toni! Toni!"
Damit rannte er davon.
Und nun wußte ich Alles, das letzte Wort hatte es mir klar gemacht. Es war Toni's Bruder gewesen und an den Gegenständen im Koffer hatte er die Anwesenheit seiner Schwester im Zimmer errathen.
Ich war eine Weile wie betäubt.
Schreckliches Zufallsspiel! dachte ich, Du übernimmst es, meinen Leichtsinn, meine Unbesonnenheit, meine Schuld zu strafen ....
Seltsamer Weise hatte weder die Anwesenheit eines Dritten im Zimmer, noch der wilde Auftritt an der Thür, noch der Wortwechsel draußen im Corridor Toni aus ihrem festen Schlafe geweckt.
Sie regte sich nicht hinter ihren Vorhängen.
In mir aber brauste und tobte Alles. Es war ja nicht daran zu zweifeln, der Bruder hatte die Schwester erkannt. Auf dem Punkte des Zimmers, wo er zuletzt gestanden, als meine Faust ihn von hinten gepackt, hatte er sie sehen müssen. Ich machte die Probe und stellte mich aus den Fleck — ja, da war Tonis ruhiges Antlitz vor mir! Nein, der war nicht hei der Vermuthung geblieben, dem war hinterher nichts auszureden, er hatte mit Augen gesehen.
Nord und Süd. XIII, 38.
12