Issue 
(1880) 38
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j68 - Alfred Meißner in Bregenz. -

Was nun thun? Sollte ich Toni wecken und ihr rasch Alles sagen? Sollte ich sie weiterschlafen lassen, dem Bruder Nacheilen, ihm mein Herz und dessen Absichten darlegen, ihn zu beschwichtigen, ihn von weiteren Schritten abzuhalten suchen? Vielleicht war es doch noch möglich, Alles zum Guten zu wenden und Toni den Schrecken zu ersparen . . .

Jndeß fiel mir Alles ein, was ich je über seinen Charakter erfahren.

Nein, ich muß sie wecken und ihr Alles sagen! rief es in mir . . . Es bürgt mir ja auch Niemand dafür, daß er nicht in der nächsten Minute mir wieder entgegentritt . . .

Ich muß doch eine ziemliche Weile mit mir gekämpft haben, denn wie ich so sinnend in meinem Zimmer stand, trat mir Toni entgegen. Sie hatte sich hinter ihren Vorhängen angezogen und war gerade so gekleidet, wie ich sie gestern auf der Landstraße getroffen. Sie hatte ihren Hut auf dem Kopfe, das Bündelchen in der Hand und schaute zu Boden, finster, ohne mich nur mit einem Blicke anzusehen. Ihr Gesicht, während des Schlafes voll ruhiger Vergessenheit, hatte den Ausdruck eines mir an ihr ganz fremden Ernstes angenommen. Es war das Bild verletzter Schamhaftigkeit und innerer Vorwürfe, das vor mir stand.

Toni, wohin willst Du?" fragte ich.

Wohin ich will?" antwortete sie.Wohin ich wollte; zu meinen Verwandten. Sie wohnen im Vorort, ich habe keine halbe Stunde Wegs mehr zu ihnen. Ich komme wohl ein paar Stunden früher hin, als ich dachte, aber"

Ich nahm sie bei der Hand, hielt sie fest und erzählte ihr in wenig Worten Alles, was sich heute morgens, während sie schlief, zugetragen.

Sie wollte es zuerst gar nicht glauben.

Du träumst wohl!" rief sie.Mein Bruder wie käme doch inein Bruder her? Er unter allen Menschen der, den ich am meisten fürchten müßte? Er ist ja in Pilsen, wohl zehn oder mehr Meilen von hier. Er arbeitet in einer Fabrik, er darf nicht fort" . . .

Er war es doch", sagte ich. Die Gegenstände, die im Koffer lagen, obenan lagen, hat er gekannt und Dein Name war das letzte Wort, das er ausrief, als er auf und davon lief".

Toni erhob noch Einwände, sich zum Tröste, aber die Leichenblässe, die über ihr Gesicht gekommen war, sagte genugsam, daß sie das Schreckliche für wahr halte. Eine Minute später brach sie in krampfhaftes Weinen aus.

Entehrt entehrt!" rief sie.Nicht nur vor mir selbst! Wie trete ich der Mutter vor die Augen, wie trete ich dem Bruder entgegen? Wie lebe ich weiter? Er wird immer wie ein Ankläger vor mir stehn"

Sie hörte meine ihr Trost zusprechenden Worte nicht an, sie waren auch im Grunde sinnlos.

Wir waren arm", rief sieaber wir hatten uns vor Niemand in