Alfred Meißner in Bregenz.
§70
„Der junge Mann", entgegnete der Kellner ist nicht von hier. „Er ist aus der großen Fabrik eiserner Kassen in Pilsen. Er ist mit noch einem Arbeiter vorgestern hergekommen, weil an den Kassen beim Banquier Samuelsohn etwas zu richten war. Die beiden wohnten drüben im Einkehrhause, und da Sie so drängten, lief ich hinüber und bat ihn — aus Gefälligkeit" —
„Ich will mich drüben nach ihm umsehen", — sagte ich forteilend.
„Die beiden Leute sind schon abgereist", ries er mir noch nach. „Gestern Abend sind sie mit den Kassen beim Banquier fertig geworden".
„Sie wissen es gewiß?"
„Gewiß".
Der Bruder war fort. Von Toni keine Spur. Ein wilder Schmerz faßte mich. Ich kehrte um und eilte davon, wie man einem Orte, wo ein unheilbares Unglück geschehen, den Rücken wendet.
Monate waren vergangen. Ich saß wieder daheim bei meiner Mutter; doch nur wie ein Kranker. Ich war innerlichst zerrissen und konnte nicht genesen. Ein schwärender Splitter war mir in die Brust gedrungen und keiner meiner Pulsschläge war mehr ein normaler. Ich hatte zum ersten Mal geliebt, den Rausch der Leidenschaft und schließlich eine Fülle von Jammer kennen gelernt. Mein Gewissen war mein Quälgeist und schwang seine Geißel — eine Geißel von Skorpionen.
Alles Leben erschien mir todt, ich vergrub mich in die Einsamkeit und lernte die Wahrheit des Goethe'schen Wortes kennen, daß, wer sich der Einsamkeit ergiebt, bald allein ist. Bald sah ich keinen meiner ehemaligen Freunde mehr.
Zu ganzen Stunden saß ich am Klavier und spielte. Nicht Mozarts sanfte, einfache Weisen, die ich früher so sehr geliebt, nur Beethovens tiefste scheinbar verworrene Gefühlssprache konnte mich fesseln. Ich beschwor diesen Urgeist des Gesanges und ließ ihn, da mich sonst alles verließ, bei mir bleiben, bis alle befreundeten Empfindungen in meiner Brust erwachten und sich mit ihm unterhielten. Da fühlte ich mich wieder als Dichter, aber ich war es mir allein. In mir rauschte ein großes Lied, eine unendliche Elegie empor. Meine Gefühle zogen, zu trauernden Schatten verkörpert, über kahle Felsen vor mir — ich glaubte ein erhabenes Nachtstück sich vor mir ausrollen zu sehen.
Warum kam kein Brief von Toni? Wilde Reue faßte mich. Du hast, sagte ich mir, als Schwächling gehandelt, du hast sie in einem Moment der Gefahr sich selbst überlassen. Was war aus ihr geworden? Wo war sie?
Immer wieder dachte ich an den grünen Platz aus der Höhe zurück, wo ich Toni zuerst gesehen, an die alte Burg mit dem aus den Fenstern heraushängenden Epheuteppich; ein Krampf schnürte mir die Brust zusammen. Wieder sah ich sie im Wagen an meiner Seite, so hold unter ihrem Stroh-