Ich hatte mich daran gewöhnt, Toni als todt zu betrachten, wiewohl diese Annahme lediglich auf der Aussage einer Bauersfrau und jenem an den Kaplan gerichteten Brief fußte. Aber, daß ich absolut nichts mehr von Toni hörte, schien mir die vollste Bestätigung des Schrecklichsten. Nie vernahm ich mehr während einer schlaflosen Nacht das Wehen des Windes, ohne daran zu denken, daß er Wohl über ihr Grab hinfahre . . . Und in solcher Nacht, wenn alles still war, mußte ich plötzlich lauschen und rief: O, daß Du mir erscheinen könntest!
So vergingen Monate. Eine Angelegenheit hatte mich in das benachbarte Pilsen geführt. Eines Tages war ich in eine entlegene Vorstadt gekommen. Ich blieb, ein Träumer wie ich war, zufällig und ohne zu Haussen, warum, vor dem Laden eines Vergolders stehen, wo nebst Rahmen und Holzleisten aller Sorten auch einzelne Bilder und Bildchen, Arbeiten kleiner heimischer Künstler, zum Verkauf hingen. Meine Augen irrten von stümperhaft gemalten Alpenlandschaften mit grellen Sonnenuntergängen zu kleinen humoristischen Genrebildern im Geschmacke geringer Käufer, von einem Knaben am Bache zu einem Mädchen mit der Katze und dem Knäuel — da fiel mein Blick auf ein porträtartiges Bild, eine unvollendete Skizze, und ich prallte zurück.
Aus einem dunklen Hintergründe sah mich ein Kopf voll intensivsten
Lebens an. Ich hatte augenblicklich Tonis Züge erkannt. Ja, es war ihr
Kops, wie ans dem Spiegel gehoben und ohne jede Spur von Jdealisirung wiedergegeben.
In diesem Augenblicke wurde ich von einem Bekannten angesprochen. Ich verbarg meine Unruhe so gut als möglich und entfernte mich einige
Schritte von dem verhängnißvollen Laden. Aber kaum war ich wieder mein
eigener Herr, als ich an das Schaufenster zurückkehrte. Staub der Gasse lag darauf, ich putzte ihn weg und schaute, schaute. Alle Erinnerungen der Vergangenheit waren in mir aufgewacht und begannen mich zu geißeln. Mir war, als sei ich unheimlichen Mächten als Spielzeug anheimgegeben. Was geht mit mir vor? fragte ich mich. Täusche ich mich? Sehe ich nur eine Aehnlichkeit, weil ich immer an sie denke? Oder ist sie es wirklich? Wie kommt sie hieher?
Ich trat in den Laden, ließ mir von der Verkäuferin das Bild hervorholen, betrachtete es in der Nähe. Es mußte Toni sein. Ich kaufte das Porträt, gab den Auftrag, es in meine Wohnung zu schicken, dann fragte ich nach dem Maler.
Nach einigem Zögern wurde mir der Name Johann Wallburg genannt, er sei ein „einheimischer Künstler". Auch seine Adresse erhielt ich.
Ich eilte in die entlegene Vorstadtstraße. In einem großen schlecht
gehaltenen Hause, wie solche für kleine Miether von Capitalisten, die selbst nicht dort wohnen mögen, hergestellt werden, und zwar in einem hohen engen Zimmer des Hintergebäudes traf ich den Künstler. Es war eine über alle Beschreibung verwitterte Menschenruine, die da in einer schmutzigen