„Das Opfer ist vollbracht, es liegt hinter mir, ich habe feierlich und für immer auf Dich verzichtet".
„Das kannst, das darfst Du nicht!" rief ich.
„Ich habe Deiner Mutter mein Wort gegeben und halte es".
Ich war lange sprachlos vor Erstaunen.
„Meiner Mutter?" fragte ich endlich. „Hat sie an Euch geschrieben?"
„Weißt Du denn nicht, daß sie bei uns war?"
„Meine Mutter bei Euch? ..."
„Wohl zwei Stunden saß sie auf dem Stuhl da, von mir, wo Du jetzt fitzest. Ich lag zu Bette — sehr schwer krank — es war kaum eine Woche nach jenem entsetzlichen Tage, an dem ich die Nachricht von der That des Bruders und seinem schrecklichen Ende erhalten hatte. Meine Mutter war dabei und hat Alles mit angehört. . ."
„O",.rief ich, „sagte ich es doch, mir ist arg mitgespielt worden! Deine Briefe hat sie mir unterschlagen, das Gerücht von Deinem Tode aussprengen lassen und Dir heimlich, ohne mir etwas davon zu sagen, eine Verzichtleistung abgerungen, wer weiß, durch welche Mittel" —
„Nein", erwiderte Toni, „nicht abgerungen, wenigstens nicht durch unlautere Mittel. Freundlich und verständig hat sie mit uns gesprochen, alles in Ruhe und Güte — ich habe ihr in Allem Recht geben müssen".
„Welche Heimlichkeiten!" rief ich. „Welche Schleichwege! Doch — sie haben ihr nichts genützt! Jetzt ist das Netz zerrissen, das um mich gesponnen war und das ich nicht gewahrte. Ich lasse nie und nie von Dir!"
In diesem Augenblicke trat die Mutter ein.
Sie blieb, als sie mich erkannte, wie erstarrt stehen.
„Hast Du ihn hergerufen?" war ihr erstes, im vorwurfsvollen Tone gesprochenes Wort.
Toni schüttelte den Kopf.
Das kummerdurchfurchte Antlitz der Frau war mein ärgster Richter.
„Frau Erhardt", rief ich ihr entgegen, „ich verspreche Ihnen heilig als Mann, alles gut zu machen, was ich als Knabe an Ihnen gefehlt!"
„Können Sie das?" fragte Frau Erhardt finster. „Sehen Sie mein Kind an und sagen Sie, ob Sie das können?"
Erst jetzt fiel mir die entsetzliche Veränderung auf, die in Tonis Zügen stattgefunden. Die Wangen, die eine fliegende Röthe bedeckten, waren hager, die Augen, die seltsam glänzten, tief eingesunken; unbarmherzig hatte ein langer Schmerz überall seine Vernichtungsspuren eingezeichnet.
„Sie können", fuhr Frau Erhardt fort, „nichts wieder gut machen. Sie können mir die Tochter, die ich besaß, ebenso wenig wiedcrgeben, wie meinen Sohn. Mein Sohn ist todt — und meine Tochter —" hier versagte, als ihr Blick auf Toni fiel, der eisenstarken Frau die Stimme, ihr, die wohl selten zu weinen gewohnt war, traten die Thränen in die Augen.
„Frau Erhardt", rief ich, „seien Sie kein unbarmherziger Ankläger.