Toni.
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Sehe ich aus, wie Einer, der Liebessreuden nachjagt? Wie ein Herzloser? Hab' ich etwa nicht gelitten? Ein Jahr meiner Jugend ist bereits Volt von Kämpfen, es hat mir tausend Wunden geschlagen, Tag um Tag und Stunde um Stunde. Nein, ich bin kein Verbrecher, ich bin es nicht! Man hat mich furchtbar getäuscht. Tonis Briefe sind nie in meine Hand gekommen. Ich habe sie für todt gehalten und war auch der Todten getreu. Wie ich fürderhin zu meiner Mutter stehen werde, die dies alles über mich gebracht hat und so grausam zwischen mich und meine Liebe getreten ist, das weiß ich heute noch nicht zu sagen. Diese Liebe wächst täglich, sie wird stärker in mir als jede Rücksicht und wird alles überdauern. Ein zweites Mal spielt man mir so nicht mit. Kein Ort wäre so versteckt, mir Toni zu verbergen, keiner so fern, daß ich sie nicht aufsuchte. Auch Sie werden mit mir Frieden schließen und durch die Beharrlichkeit meiner Liebe endlich mit mir versöhnt werden. Toni wird sich wieder erholen und in einer glücklichen Gegenwart das Erlittene vergessen —"
Ich war vor die Geliebte hingetreten, ergriff ihre Hände und rief: „Toni, laß mich nicht mehr von Dir —"
Toni war von der Exaltation, die mich ergriffen, mit erfaßt, eine fliegende Röthe trat auf ihre Wangen. Sie schlang ihren Arm um meinen Hals, während ich, die Stirn auf ihren Knieen, vor ihr hingesunken dalag und rief:
„Mutter! Mutter, haben Sie Mitleid mit uns!"
Aber diese flehentliche Bitte prallte an der Brust der Frau ab, die nach kurzer Ergriffenheit ihre ganze Energie wiedergefunden.
„Ich müßte schwach sein, eine Närrin, wenn ich auf Dich hören wollte!" rief sie der Tochter zu. „Als der Zufall", wendete sie sich an mich — „doch was nennt man so! — als das Schicksal Sie mit uns bekannt machte, da wußte ich gleich, daß nichts Gutes aus so einer Bekanntschaft entstehen würde. Ich wußte, wie herzlos die Leute Ihres Standes sind, das ganze Leben hat mich vor denselben gewarnt, doch trotz aller Klugheit war ich verblendet, daß ich die Lehre vergaß, die ich anderen Müttern so oft gegeben. Sie sind gekommen, haben die Unerfahrenheit eines Kindes mißbraucht; ich schloß die Thür erst, als es zu spät war. Sehen Sie, was Sie angerichtet haben! Sie haben alles zerstört, was zu zerstören war. Schon in Kranberg haben es die Nachbarn nicht an Auslegungen fehlen lassen. Wollen Sie auch hier, wo wir das Leben wieder anfangen möchten, uns die Ehre rauben? Sollen die Leute, die uns hier kennen, sagen: hier geht ein junger Mann ans und ein, und Frau und Tochter leben von ihm? Und wenn Ihnen Toni verzeiht, ich bleibe unversöhnt und trage Ihnen alles, was Sie gethan, bis zur letzten Stunde nach. Wenn sie vergessen könnte, an wessen Tod Sie schuld sind, ich vergesse es nicht. Kommen Sie mir nicht mit dem, was mein Sohn Ihnen gethan. Wäre es vor die Geschworenen gekommen und hätte er erzählt, warum er über Sie hergefallen, ich sage Ihnen, die Geschworenen hätten ihn