Issue 
(1880) 38
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Toni.

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ein Trauernder, aber ohne Zutrauen zu mir. . . . Ein zweiter Brief kam, und ein dritter Die ist hartnäckig, dachte ich und warf sie ungelesen in's Feuer. Ich segnete den Zufall, der mir sie in die Hände spielte. Man muß solche Briefschreiberinnen ermüden, dachte ich mir, um sie loszuwerden. Er muß loskommen. Da überfiel Dich der Mordgesell. Das Gericht hielt es schließlich doch für einen Raubanfall, ich wußte es besser. Ich eilte auf einen Tag von Deinem Krankenlager weg, mir die Familie anzusehen, in der die Schwester erst Liebesbriefe losläßt, der Bruder aber mit Messern sticht. Ich fand ich gestehe es die Leute anders, als ich es mir gedacht das Mädchen willens, eine Heldin der Entsagung zu spielen, die Mutter wie starr von allem Unglück, das sie betroffen. Ich gestehe, ich ging mit anderen Eindrücken fort, des Mädchens insbesondere aber wir leben nicht in Amerika; was in den Urwäldern möglich, ist es hier nicht. Der Unter­schied der Stände ist einmal da, und in der Welt, wie sie nun einmal ist, ich hoffe Du täuschest Dich selbst nicht darüber genügt nicht der ein­fache moralische Werth, Bravheit, Jugend, Güte allein."

Mutter", entgegnete ich,mein Herz hat gewählt, ich lasse nicht von ihr. Ich hoffe auf die Zeit, welche Vorurtheile tilgt und Mißverständnisse ausgleicht, und sollte ich Jahre um Jahre warten"

Jahr' um Jahre!" sagte ineine Mutter, und der Ton ihrer Stimme wurde sehr sanft.Das Mädchen, das Du liebst, hat keine Jahre vor sich. Sie gehört zu den vorfrüh zum Leben Erwachten, die welken und hingehen, ehe ihre Sonne im Mittag steht".

Damit ging sie fort.

Meine Mutter hatte mit diesen Worten das berührt, was in mir seit den letzten Tagen als eine schreckliche Befürchtung lebte. Toni glich einer jener Blumen, die allzufrüh, im März, ihren Kelch ausgeschlagen: die Farben sind von größter Frische, aber ihr Bau zu zart, um die nachkommenden . Stürme und Fröste zu bestehen. Und wie ihr Körper zurückgeblieben war hinter dem gewöhnlichen Maß ihrer Jahre, so war ihr Geist vorangeeilt und hatte jene frühzeitige Reife erlangt, die die tiefste Besorgniß einslößt.

Doch das alles hatte ich mir bisher, so oft ich's erkannte, wieder aus- reden können; jetzt lag es anders. Seit der Gram an ihr gezehrt, war sie der Schatten dessen geworden, was sie einst war.

Außer Stande, selbst um Toni zu sein und doch voll vom Drange, ihr und ihrer Mutter zu helfen, wandte ich mich in einem dringenden und aus­führlichen Briefe an den alten Maler Wallburg und beschwor ihn bei der Sympathie, die er für die Leute empfunden, sich nach denselben umzusehen und ihnen beizustehen. Die Mittel, die er dazu nöthig habe, wollte ich ihm in aller Stille liefern.

Er antwortete mir einige Tage später in einem Briefe, der mit herz­lichen Worten für den eingesandten Vorschuß dankte. Der arme, von seiner Tochter schmählich verlassene Greis fühlte sich glücklich, so unerwartet einen