- lieber G. E. Lessing. - sst?
den Söhnen seines Zeitalters sind auf dem Gebiete des deutschen Geistes jene beiden kritischen Köpfe, welche die Kunst des Dichtens und Denkens durchschaut und gelenkt haben, die mächtigsten gewesen: Kant und Lessing. Ohne Friedrich wäre Preußen, ohne Lessing die deutsche Poesie und Literatur, ohne Kant die deutsche Wissenschaft nicht geworden, was sie sind: Großmächte. Es war ein sinnvoller Gedanke des Bildhauers Rauch, daß er am Friedrichsmonumente in Berlin mit den siegreichen Feldherren auch die siegreichen Denker des Zeitalters feiern wollte und in dieser Absicht Lessing und Kant zusammenstellte, als ob sie einander begegneten.
III.
Die Aufgabe, die Lessing im Felde der deutschen Literatur vorfand, wurzelt im Zeitalter der deutschen Reformation. Unsere alte Literatur war- abgelebt und eine neue nationale, dem Zustande der Weltcultur entsprechende konnte, abgesehen von der folgereichen That der deutschen Bibelübersetzung und dem evangelischen Kirchenliede aus der Epoche Luthers nicht hervorgehen. Um eine neue nationalgesinnte Weltdichtung zu erzeugen, war die Reformation durch zwei Bedingungen gehindert: einmal blieb sie durch ihre nächsten Aufgaben zu sehr auf das Gebiet der religiösen, kirchlichen, theologischen Interessen eingeschränkt und mußte sich daher in ihrem Fortgange mehr und mehr den bewegenden Weltmächten entfremden; dann hatte sie durch ihre unvermeidlichen Folgen die deutsche Nation in zwei einander feindliche Bekenntnisse und Kirchen gespalten, ja aus ihrem eigenen Schoße selbst neue Glaubenszwistigkeiten erzeugt, welche die innere Zerklüftung unseres Volkes vergrößert und die Widerstandskraft der Reformation geschwächt haben. Darum hat die letztere in ihrem eigenen Zeitalter nicht vermocht, die deutsche Literatur von Grund aus zu erneuen, sie mußte es der Zukunft überlassen, diese durch ihre Epoche geforderte Aufgabe zu lösen.
Doch erlebte auch die Literatur in Deutschland eine gleichzeitige und notwendige Umbildung, die nicht von der religiösen Reformation, sondern von dem veränderten Stande der Weltcultur ausging: von jener Wiedergeburt des Alterthums und der Belebung der Alterthumsstudien, die Renaissance genannt wird und an die Stelle der kirchlichen Erziehung nnd Bildung die humanistische treten ließ, mit der neue Gegenstände der Forschung, neue Vorbilder des Geschmackes und der Phantasie, neue Aufgabeu und Formen der Dichtung emporkamen. Die Humanisten wurden die Poeten des Zeitalters: die deutschen Humanisten wurden neulateinische Poeten, denen es in der Zeit der Erhebung, im Aufschwung der gewaltigen Epoche nicht an großen und nationalen Gegenständen, nicht an Begeisterung und Genie gefehlt hat, die aber in der Zeit der Ermattung, die das sinkende Jahrhundert mit sich brachte, nichts übrig behielten als die Virtuosität der Nachahmung. Statt der nationalen Dichtung, die aus den innern Mächten des Volkslebens ent-