Heft 
(1880) 38
Seite
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lieber G. E. Lessing.

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Kameraden spielte und lustig war, frug er den Lehrer:Amüsire ich mich

jetzt?" Ein solcher Prinzenerzieher war Gottsched, ein solcher Prinz die deutsche Literatur, die ihm gehorchte. Wäre es nach dem Leipziger Präceptor gegangen, so hätten die Dichter bei ihm und seiner Poetik anfragen müssen, nicht blos ob sie diese oder jene Empfindung haben dürfen, sondern ob sie dieselbe wirklich haben.

Die Zeit mußte kommen, wo Gottscheds Jrrthum der Welt einleuchtete und die deutsche Poesie aufhören wollte, in die Schule zu gehen; dieser Zeitpunkt mußte sehr bald kommen, denn durch Gottscheds Dietatur war sein Jrrthum dergestalt zu Tage gefördert, daß er in die Augen sprang. Auch darin besteht ein Verdienst dieses Mannes, freilich ein ungewolltes, denn die Dinge in der Welt müssen offenbar werden, um gerichtet zu werden. Es mußte sich zeigen, daß aus dem Standpunkt und mit den Mitteln der Lehre Gottscheds die Poesie weder erzeugt noch verstanden werden konnte.

Den Anfang der besseren Einsichtmachten die Schweizer. In dem Jahre, wo Friedrich den preußischen Thron bestieg, entzündete sich der bekannte Streit zwischen dem Leipziger Akademiker und den Züricher Professoren Bodmer und Breitinger. Die Phantasie geht nicht nach Regeln, die man ihr vorschreibt, sondern nach den Bedürfnissen, die sie empfindet, nach den Wirkungen, die sie erlebt und die sie erquicken: -sie will ergriffen, gefesselt, erfüllt werden. Daher begehrt sie gewaltige, ungewöhnliche, wunderbare Vorstellungen und erhabene Bilder; die Poesie soll nicht regelrecht, sondern phantasiegemäß wirken, die Dichter sollen einen ähnlichen Zauber auf unsere Einbildungskraft ausüben als die Maler durch ihre farbenreichen Gestalten: dies war die neue Lehre, die Bodmer in seiner Schrift vom Wunderbaren, Breitinger in seiner kritischen Dichtkunst verkündeten und die den Streit mit Gottsched hervorrief, dessen abschätziges Urtheil über Milton schon gezeigt hatte, wie wenig er im Staude war, die eigenthümliche Großheit dieses englischen und religiösen Dichters zu würdigen.

V.

Auch die Schweizer waren keine Dichter. Der Streit zwischen ihnen und Gottsched bewegte sich noch innerhalb der Poetik, die ihre Rechnung ohne den Wirth machte; es handelte sich um die Herrschaft oder Nicht­herrschaft der Regel in der Poesie; um diese theoretische Frage, in der die Schweizer gleichsam die Grundrechte der Phantasie an bloa vertheidigten. In diesem Punkte lag die Stärke und der Sieg ihrer Sache, wenn die Kraft erschien, die durch eine gewaltige dichterische That diesen Sieg aus­machte und dem bloßen Gerede über Poesie ein Ende setzte. Denn die Poetik ohne Poesie ist so gut Scholastik als die Theologie ohne Religion.

Die Sache war so weit gekommen, daß den nächsten Schritt nur ein geborener Poet thun konnte, an dem Gottsched Zu Schanden wurde, und in welchem die Schweizer erfüllt sahen, was sie verkündet hatten; ein Poet, der ihnen Zurufen konnte:ich habe gethan, was ihr nur maltet!" Das

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