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Ueber G. L. Lessing. -
herrliche Regen säuselte aus das Land und erquickender Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: Klopstock! Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in den Strom der Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ergoß".
Es giebt zwei Gedichte Schillers, die mir unwillkürlich das Bild Klopstocks Hervorrufen. Der deutsche Pegasus lag im Joch, er entfaltete sein Schwingenpaar, als dieser Jüngling ihn berührte, und stieg empor zu den blauen Höhen. Klopstock war der Dichter der erhabenen Empfindung, des lyrischen Aufschwungs, durch seinen Genius nicht zur epischen, noch weniger zur dramatischen Poesie berufen. Als er das Gedicht vom Messias unternahm, halte er sich zweimal geirrt: in der Wahl des Stoffes und in seinem Talent; es war die Folge dieses doppelten Fehlgriffs, daß ein Vierteljahr- Hundert verging, bis er sein Epos mühselig zu Ende gebracht hatte. Das Bild der Welt und des vollen Menschenlebens kann uns nur der epische und am wirkungsvollsten der dramatische Dichter geben. Klopstock war kein Weltdichter; der Zug seiner Natur ging nach den blauen Höhen. Ich wüßte keinen unserer neueren Poeten, der so wie er die Frage herausfordert: „Wo warst Du denn, als man die Welt getheilet?" — keinen, der so wie er antworten dürfte:
Ich war, sprach der Poet, bei dir!
Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr,
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte Berauscht, das Irdische verlor.
Wenn er einer Verzeihung bedarf, so ist es diese, und niemand hat über Klopstocks Größe und Mängel richtiger geurtheilt, als Schiller selbst in seiner unvergleichlichen Charakteristik, des „sentimentalischen Dichters". Es ist nöthig, unserer Zeit die richtige Würdigung Klopstocks wieder einzu- prägen, da wir mehr als einmal bei beachtungswürdigen Männern verkehrten Urtheilen begegnet sind, die Klopstock zu deu literarischen Curiositäten rechnen und völlig vergessen haben, welche Seelen- und Phantasiestärke dazu gehört, um den Staub der Empfindungen abzuschütteln und die erhabenen Vorstellungen rein und gewaltig hervorzubringen.
Freilich konnte von einem solchen Dichter eine durchgreifende Reform unserer Literatur nicht ausgehen: dazu fehlte ihm der Umfang der poetischen Kraft und das Verständniß der Aufgabe selbst. Wie sehr ihm die letztere Einsicht gebrach, haben die Neuerungen bewiesen, die er in seiner späteren Zeit einführen wollte und die eben so viele Verirrungen waren. Auch unter den Dichtern, die sich von Gottsched unabhängig gemacht hatten und unbekümmert um ihn und seine kritische Dichtkunst ihre poetischen Kräfte versuchten, war keiner, der an Macht des Talents sich mit Klopstock vergleichen