Heft 
(1880) 38
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konnte oder die Gaben besaß, die ihm fehlten. Der einzige, den die Natur berufen hatte, gleichsam sein poetischer Gegenfüßler zu werden, Chr. M. Wieland, hatte sich vorher zu den Schweizern verirrt und suchte dem Dichter des Messias die Fußstapfen nachzutreten. Die dramatische Kraft war auch ihnr versagt. Die Stärke und der Zauber seines Talents lagen genau in der Wagschale, die Klopstocks erhabener Lyrik gegenüber die beiden Gegengewichte des Komischen und Epischen enthielt: Wieland vereinigte diese beiden Factoren in der komischen Erzä hlung , die uns ergötzlich schildert, wie die Schwärmerei zu Fall kommt und die sinnliche Natur sich an ihr rächt. Während Klopstock der sündigen Menschheit Erlösung" besang, nahm Wieland in der Stille die entgegengesetzte Richtung und ließ sich von der Muse belehren, daß der Geist willig, aber das Fleisch schwach sei, und es ist, setzte die Muse hinzu, nie liebenswürdiger, als wenn es schwach ist! Die Liebenswürdigkeiten dieser Schwäche wußte Wieland mit poetischer Virtuosität zu erzählen.Der hohe Schwung beugt meine Seele nicht, mein Element ist heitre sanfte Freude". Als er dieses sein Element gefunden hatte und in der Musarion verkündete, war die Reformation unserer Literatur in vollem Gange.

Der Gegensatz zwischen Klopstock und Wieland ist keine zufällige Erscheinung, sondern der poetische Ausdruck jener beiden einander widerstreitenden Mächte der idealen und sinnlichen Menschennatur, die im Zwiespalt ihre Ergänzung fordern; ein ähnlicher Gegensatz zeigt sich unter den großen Dichtern des Mittelalters, zwischen Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg; ein ähnlicher besteht in der neueren Zeit, noch bevor Klopstock und Wieland den ihrigen ausgeprägt hatten, zwischen Haller und Hagedorn. Und Haller sah in Hagedorn beides: sein Gegentheil und seine Ergänzung. In der Anthologie" des jugendlichen Schiller findet sich ein Spruch (der nicht von dem Herausgeber selbst herrührt), worin Klopstock und Wieland als die Dichter des Jenseits und Diesseits erscheinen. Der Verfasser des Epigramms sah die Schattenrisse beider vor sich, den Dichter des Messias rechts, den des Oberon links, und sein Spruch lautete:Gewiß! bin ich nur über'm

Strome drüben, gewiß will ich den Mann zur Rechten lieben, dann erst schrieb dieser Mann für mich. Für Menschen hat der linke Mann geschrieben, ihn darf auch unser einer lieben, komm, linker Mann! Ich küsse Dich!"

Unter den freien Dichtern, die Klopstock unmittelbar vorangingen, machten sich gewisse Bestrebungen geltend, die im Kleinen auf das große Ziel unserer poetischen Reformation hinwiesen: die Wiedergeburt der deutschen Dichtung, die Befreiung von der fremdländischen Renaissance. Mau hatte schon die Entdeckung gemacht, daß die Dichter des Alterthums nicht blos unsere Schul­meister und gewichtigen Vorbilder, sondern Menschen wie wir sind, die sich der Welt und des Daseins erfreut, die Freuden der Liebe und des Weins erlebt und besungen haben, daß die Gedichte des Horaz und Anakreon nicht blos vorhanden sind, um übersetzt und exercirt, sondern genossen, sympathisch empfunden, mit gleichgestimmter Lust uachgeahmt zu werden. Man fühlt wie