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Anno Fischer in Heidelberg. -
der deutsche Mutiere zu werden. Wie er seine Aufgabe faßt, und welche Richtung er sofort aus eigenstem Antriebe erwählt, dafür ist das Thema seines ersten Lustspiels, das er als Schüler entworfen hatte und als Student ausführte, ein sehr charakteristisches Zeugniß: er will die Thorheit darstellen, die er erlebt, auch in sich selbst erlebt hatte, die einzige, die ihm damals aus der eigenen Erfahrung entgegenkam. Aus den „kleinen Knaben", die voller Stolz zur Schule gehen, werden große Knaben, die Schulfüchse bleiben und den Tertianerstolz in Gelehrtendünkel verwandeln. Das Lustspiel hieß „Der junge Gelehrte". So erklärt Lessing selbst die Entstehung dieses seines ersten dramatischen Versuchs, der auf die Bühne kam. „Ich glaube, die Wahl des Gegenstandes hat viel dazu beigetragen, daß ich nicht ganz damit verunglückt bin. Ein junger Gelehrter war die einzige Art von Narren, die mir auch damals schon unmöglich unbekannt sein konnte. Unter diesem Ungeziefer ausgewachsen, war es ein Wunder, daß ich meine ersten satirischen Waffen wider dasselbe wandte?"
Ueberschauen wir, ohne jede biographische Ausführlichkeit, die nicht in unser Thema gehört, in gedrängtester Kürze den Entwicklungsgang Lessings. Sein Leben umfaßt nur 52 Jahre. In seinem Geburtsjahr (1729) erscheint Gottscheds „kritische Dichtkunst", in seinem Todesjahre (1781) Kants „Kritik der reinen Vernunft" und Schillers erstes Trauerspiel.
Im Jahre 1759 steht Lessing, ein dreißigjähriger Mann, aus der beginnenden Höhe seiner resormatorischen Wirksamkeit, die in ihrer Vollkraft mit einer Reihe epochemachender Werke zwei Jahrzehnte erfüllt (1760—1780). In dieser Zeit wird die deutsche Literatur umgewandelt. Wie mächtig uns gewaltig die Krisis war, die Lessing entschieden hat, zeigt auf einen einzigen Blick der Charakter der ihr vorhergehenden und der ihr nachfolgenden Literatur. Vor jener Krisis: Gottsched, Hagedorn, Klopstock; nach derselben: Herder, Goethe, Schiller! Man vergleiche Gottsched und Herder, Hagedorn und Goethe, Klopstock und Schiller!
Lessings literarische Anfänge, die noch keinen resormatorischen Charakter haben, fallen in die Jahre 1746—1752; er lebt zwei Jahre als Student in Leipzig, dann als beginnender Journalist in Berlin und beschließt seine akademischen Studien in Wittenberg. In Leipzig interessirt ihn am meisten das Theater, in Wittenberg die Bibliothek. Unter seinen literarischen Anfängen verstehen wir seine ersten Gedichte, Lustspiele und kleineren kritischen Feldzüge, darunter einen, der schon hinreichte, ihn zu einem gefürchteten Manne zu machen, es war die Vernichtung eines erbärmlichen Horazüber- setzers, der zu den hallischen Dichtern gehörte: „Vademeeum für Herrn Samuel Gotthold Lange, Pastor in Laublingen". Wäre Lessing damals gestorben, diese Schrift von einer beispiellosen Anmuth und Furchtbarkeit der Polemik würde ihn überlebt haben und müßte im Andenken der Nachwelt unvergeßlich geblieben sein, aber auch nur diese nebst einigen seiner Trinklieder und Epigramme.