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Rarl Stieler in München.
während schon dieZinken des Watzmaun vor uns emporstiegen. Berchtesgaden war nahe, und als wir es erreicht, glomm silberhell der Vollmond; an den Fenstern glänzten die ersten Lichter, wir sagten vorüber und bald waren wir auf der einsamen Straße nach Königssee. Das ganze meilenweite Gebiet hier ist eine einzige grandiose Felsenwelt, und die sechs Thäler, die es durchschneideu, sind nur wie grüne Furchen im Gestein, auf denen winzige Menschen sich angesiedelt, mit ihrer Sehnsucht nach Glück und Leben.
Berchtesgaden selbst, die später gefürstete Propstei, ward im elften Jahrhundert von Jrmingard, der Wittwe des Hallgrafen Engelbert, gestiftet, die vier Zellenbrüder dorthin sandte; vorher hatte kaum eines Hirten Schritt den endlosen Urwald betreten. Und setzt noch webt die alte heidnische Sage um diese Gipfel. Der Watzmaun, der uns mondbeglänzt entgegenschaut, war einst ein gewaltiger König, ein schönes Weib und sieben Kinder waren ihm eigen, er aber zog mit seinem Rüden und mit Hörnerklang durchs Land und vernichtete alles, was ihm den Weg vertrat. Herzlos zerstampfte er die Saat, und seine Hunde rissen den Landmann nieder, bis endlich der Zorn der Götter den großen Friedensbrecher erreichte. Die eigene Meute waudte sich wider ihn und zerriß den König, sein Weib und seine Kinder; ihre Leiber erstarrten zu Stein — es sind die beiden Gipfel des Berges mit ihren sieben Zinken. Ihr Blut aber floß zu Thale und wogt in der Tiefe des dunklen Königssees.
Allein noch weiter zurück greift die alte Sage, bis iu jene Urgedauken, die allen Cultur-Völkern gemeinsam sind, bis in die Zeit der großen Welt- überfluthung. Denn aus dem Gipfel des Watzmaun blieb dereinst die Arche stehen, und ein einsames Menschenpaar fristete dort sein Dasein; damals war die Spitze noch um viertausend Fuß höher, bis die unterspülte Pyramide zusammenstürzte.
Das ist der Watzmann, der uns himmelragend hier entgegensah, dieweil unser Schlitten durch die Wildniß flog. Der „hohe Göll" stieg zur Lücken empor, am Wege lagen die Häuser von „Unterstem"; in dem kleinen Kirchlein, das Graf Arco erbaut hat, glänzt durch die dunklen Fenster ein rother Funke —- das „ewige Licht".
Und nun wird's immer enger im Thal, immer rauher ringsumher; wir sind im finsteren Tannenwald; doch er ist nicht dunkel heute wie in stürmischen Sommernächten, sondern silberhell glitzert die Waldnacht. Fußhoch lastet auf den Fichtenzweigen der Schnee, wie eingesunken stehen die riesigen Stämme im weißen Grund, Felstrümmer liegen am Wege, und das Gestrüpp, das auf denselben wuchert, glänzt vom blanken Reif; es giebt keine braunen, nur silberne Zweige. Hoch über uns greifen die Wipfel der Bäume iu einander, kaum lugen die Sterne herein in dies winterliche Waldgewölbe, kaum gleitet der scheue Mondenstrahl von Ast zu Ast. Es ist ein Märchen schweigend schön, und unser Auge streift durch's Dickicht, als müßt es jene Märchengeister suchen — Zwerg und Elfe. Feierliche wortlose Stille umfing uns —