Heft 
(1880) 38
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Karl Stieler in München.

die hinter uns kamen, die Knie zitterten uns, mit Windeseile ging's zurück. Es war genug der Vermessenheit, unwillkürlich kam mir der alte, sagenhafte Warnungsruf in den Sinn, wo eine unsichtbare Stimme aus der Tiefe klingt: Laß mich oder ich schlünd' Dich! Warum hatten wir's auch gewagt, die feiernächtige Stille des alten Bergsecs zu stören, erst der Tag wird cs uns zeigen, auf welchen Wegen wir gegangen.

Als wir das wirthliche Obdach wieder erreichten, da war unser Wohn- gemach schon wohlig durchwärmt, ein stattlicher Humpen gab uns das Nachtgeleit und in den breiten Divan zurückgclehnt, plauderten wir noch lange. Es waren die alten ewigen Probleme, an denen sich Faust zergrübelt, es waren die Verse Shakespeares und Homers, um die wir stritten aber draußen lag der glitzernde Sternenhimmel und der schweigende Königssee. Wir waren ja Deutsche, die nicht leben können ohne gelehrten Streit. Mitternacht ging längst vorüber, bis wir das erste vernünftige Wort gesprochen und dieses Wort hieß gute Nacht!

Als wir erwachten, lag vor uns ein Morgen von unbeschreiblicher Schöne. Kein Nebclstreif in weiter Runde, der Himmel trug dies seine, lichte Blau, und nur wo er sich wölbte zu unendlichen Höhen, da ward er tief und dunkel wie Azur. Zitternd webt das Goldlicht um den Rand der Gipfel, wenn die Sonne langsam dahinter emporklimmt, tief unten aber auf See und Thal lagen noch die kalten Schatten. Zwei Farben allein beherrschen um solche Zeit die gesammte Landschaft: das wuchtige Schwarz der Fichtenwälder und das massige Weiß des Schnees; dazwischen starren glanz- und tonlos die grauen Felsenwände, die fast senkrecht aus der Tiefe steigen. Und doch, wie packt diese großartige Eintönigkeit der Farbe, um wieviel gewaltiger erscheinen noch diese Massen, wenn keine weichen Mitteltöne sie duftig mildern.

Vergeblich lauschten wir auf einen Laut des Lebens, nur der eigene harte Tritt erklirrt und das Krachen des Eises, man hört jenes Klingen, das den stärksten, höchsten Frost begleitet. Alles schweigt in eisiger Majestät, so trotzig und doch so fesselnd, so unbarmherzig und doch so schön.

Es mochte neun Uhr Morgens sein, und nahezu 20 Grad Kälte, als wir uns auf den Weg machten nach dem berühmten Jagdschlösse Bartholomch das am linken Ufer aus einer Landzunge liegt, auf wildem Geröll, welches der Eisbach hier angespült und das in Jahrtausenden sich langsam begrünte.

Wohl zahllose Wanderer kennen diese Perle des Hochgebirges und fuhren im schwanken Kahn über die tiefgrüne Fluth, diesmal aber dient uns ein anderes Fahrzeug. Zwei leichte Schlitten, wie man sie benützt, um das Wildheu von den steilen Wiesen herabzuziehen, wurden herbeigeholt, ein Brett ward über die leichten Stangen gelegt, auf dem drei Männer wohl Platz hatten, wenn sie weidlich zusammenrücken; hintenauf aber stand frei und sicher ein flinker Bnrsch im Spitzhut. Der war unser Fährmann, ein langer Stab mit dem Eisenstachel war sein Steuer, und sausend, wie der Sturm­wind, ging's von dannen-