Eine Winterreise an den Aon-gssee. -- 223
Ein Stück weit hinein bis über die Insel, die den seltsamen Namen „Christlieger" trägt, ist der See noch seicht; nnd lichtgrün, wie das Wasser erschien auf diesem Theile das Spiegeleis, man sah zum Greifen jedes Blattwerk und Gestein auf dem Grunde.
Dann aber stürzt mit einemmal die Fluth zur schwarzen abgrunddnnklen Tiefe, und dieser Eindruck wird noch mächtiger, weil das Eis auch hier genau die Farbe trügt, die dem See sonst eigen ist: schwarzgrün an den Ufern und in der Mitte schwarz wie Ebenholz. Kein Stäubchen, keine Spur von Reif trübt diese Glätte; ineinandergewachsen scheint Eis und Steinwand und so liegt die lange Flüche da, wie eine riesige schwarze Marmorplatte, die den Felsensarkophag, verschließt in dessen Tiefen nach alter Sage das Blut des todten König Watzmann fluthet.
Wer wollte sich des leisen Grauens schämen, das uns bei solcher Fahrt beschlich; wenn das Eis in Silbersplittern hinwegsprang, so oft der Stachel in dasselbe niederfuhr! Denn das Dunkle, das Geheimnißvolle, das jeden Bergsee umgiebt, wirkt vielleicht noch mächtiger und drohender auf unser Gemüth, je mehr es augenblicklich gebannt scheint — im Eise schläft die lauernde Flnth.
Wir nahmen denselben Weg, den auch die Schiffe wählen und der Zuerst hinüberführt zur Falkensteinwand, die thurmhoch, senkrecht aus dem See steigt. Baumlos und formlos ragt ihr Gestein, daß kaum im Sommer einige Blumen aus den Ritzen blühen; nur die kleinen „Martertafeln" sind ihr Schmuck, die melancholisch vom grauen Felsen herniederschauen, derer gemahnend, die ohne Wiederkehr hier in der Fluth .versanken! Der eine war ein Fischer gewesen, der in wilder Sturmnacht von Bartholomä nach Hause fuhr — man hatte ihn umsonst beschworen, das Wagestück zu lassen, und am Morgen fand man sein Schiff im Sonnenscheine treiben, er aber war fort und Niemand weiß es, wo. Im vorigen Jahrhundert zerschellte hierein großes Schiff mit mehr als zwanzig Pilgern, das von der Wallfahrt in Bartholomä zurücksuhr und auch nicht ein Mann von ihnen entrann — die sind die Erinnerungen dieses schweigsamen Gesteins.
Und was bedeutet denn auch im äonenlangen Dasein dieser Felsenwildniß das zuckende Atom, das wir Menschenleben nennen? Uns ist es Alles, hier gilt es nicht mehr, wie wenn der Sturm eine geknickte Blume herunterweht in den See oder ein lockeres Sandkorn! Scheu lesen die Wanderer sonst, wenn sie im kühlen Schatten der Felswand vorüberfahren, die schlimme Kunde, wir aber standen davor und legteu die Hand auf die verwitterte Schrift und auf das Eis am Fuße des Felsens. Es war schwarz — wir standen über Tiefen, in denen manch ein Münster versänke wie ein Kiesel.
Der Falkenstein und die gegenüberliegende Bergwand bilden gleichsam, ein riesiges Felsenthor, das anfangs den Ausblick auf den oberen See verschließt. Erst wenn man hier um die Ecke des Vorgebirges tritt, öffnet sich das volle majestätische Panorama. Langgestreckt liegt nun der schmale finstere