Heft 
(1880) 38
Seite
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- Line Winterreise an den Aönigssee. - 225

und mit gewaltiger Faust hielt uns der Schiffer am Nacken, daß wir nicht rechts und links hinausgeschleudert wurden. Man nennt solch offene Spalten, die rasch wieder zugefroren,Fragt"; vor einigen Jahren klammerte ein Jäger dort sechs Stunden lang im Eise.

Ohne es zu gestehen, fühlten wir doch zuletzt eine leise Sehnsucht nach dem festen Lande und prall flog unser Schlitten auf am Strande von Bartholomä, wo sonst die Schiffe rauschend landen. Wie still, wie weltverloren war nun dieser Winkel, durch fußhohen Schnee bahnten wir uns den Weg zum kleinen Forsthaus, wo im Sommer Hunderte von Fremden sich tummeln, stumm sah das kleine Kirchlein mit seinen beiden Thürmen auf uns hernieder. Kein Glockenklang, keine fremde Spur: nur die Spur des Wildes.

Hier in Bartholomä lag das uralte Leben des Sees gleichsam vor uns aufgeschlossen, seltsam gemischt aus jngendfrommer Andacht und ungebändigter Kraft. Das Waidwerk war hier gleichbedeutend mit dem Tagewerk, aber schon im zwölften Jahrhundert ward zugleich das kleine Wallfahrtskirchlein aufgebaut, und Tausende pilgerten am Bartholomänstag zu dieser Stätte, während des Nachts auf allen Almentriften die Bergfener glänzten. Erst spät im achtzehnten Jahrhundert kam das Jagdschloß hinzu, das sich die fürst­lichen Pröpste von Berchtesgaden errichteten.

Aber es ist auch in der That ein wundersamer Winkel hier, dies Bartholomä; überragt von den himmelhohen Wänden des Watzmann, bespült von der unergründlichen Nuth. Und auf dem schmalen Streifen, der zwischen beiden liegt, zwischen Berg und Woge, ist mächtiger Hochwald in Jahrhunderten emporgewachsen, grünbelaubte Buchen, in deren Wipfeln das Geläut verhallt.

Unwandelbar blieb diese Schönheit stehen, dieweil der Wandel der Zeiten an ihr vorüberzog. Manch rauher Waidgesell, der noch das Wolssfell trug, hielt hier wohl stille, wenn der Klausner die Messe sang, das war damals, als man in deutschen Landen den Kaiser Barbarossa pries. Auf prunkvollen Gondeln kamen die Herren der Propstei, im steifen Ceremoniell der Zeit Louis Quinze; auch ihr fürstlicher Gebieter hielt die Messe, uud dann sahen sie dem grausamen Schauspiel zu, wie man das Wild aus allen Schluchten in den See hernnterhetzte. Mehr als hundert Jahre gingen dahin, Berchtesgaden war bairisch geworden, da kam König Max II hierher, jener feinsinnige Fürst, der die Dichter und Forscher aus ganz Deutschland zu sich berief, und ihr Geleit schien ihm der beste Hofstaat auf seinen Reisen. Sein

liebstes Jagdgehege aber war der Königssee, und gar oft waren sie hier versammelt in den Wohugemächern des kleinen Hauses, wo nach einem Tag voll fröhlicher Waidmannslust ernste Reden und heitere Verse klangen. Es war im October, wo Hirsch- und Gemsjagd gediehen, und diese Spätherbst­tage mit ihrem unbeschreiblichen Zauber, sie sind in der That die hohe Zeit für solch ein Jagdrevier. Um solche Zeit war's auch gewesen, daß ich zum erstenmal an dies Gestade trat. Wir waren nach langer Bergesfahrt die steile Kannerwand hinabgeklettert, als schon der Vollmond schien, auf unser Rufen