235
- Die pergamenischen Funde.
kostbar die kühnste Phantasie nicht hätte träumen können, durch die Auffindung jener pergamenischen Wunderwerke, welche jetzt größtenteils wohlgeborgen in zwei Sälen des Berliner Museums untergebracht sind. Die plötzliche Kunde dieser großartigen, von allen Betheiligten sorgfältig geheim gehaltenen Entdeckung rief überall Staunen, draußen aber, an manchen Orten, wo man uns nicht eben wohlgesinnt ist, Aenßerungen von Scheelsucht und Neid hervor, die darin gipfelten, diesen Ertrag unserer Arbeit und Mühen noch unbesehen herabzusetzen. Den Schreiber dieser Zeilen trieb es daher, bei erster Gelegenheit die pergamenischen Sculpturen, soweit der jetzige Zustand es gestattet, einer möglichst eingehenden Prüfung zu unterwerfen, um selbst ein Urtheil zu gewinnen. Zu Hilfe kam dabei der eben erschienene Vortrag über Pergamon von dem dafür berufensten Manne der Wissenschaft, Alexander Conze, dem Director der Sculpturabtheilung des Berliner
Museums, der außerdem in jeder Weise die Studien an den Originalen
förderte und erleichterte. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen sollen die nachfolgenden Zeilen einem größeren Kreise vermitteln.
Allerdings ist der Zustand, in welchem sich gegenwärtig noch diese Werke befinden, einer tief eindringenden Untersuchung keineswegs günstig. Die
ungeheure Masse der aufgefundenen Sculpturen liegt noch ziemlich ungeordnet in zwei Sälen des Museums am Boden, Anderes befindet sich in einem
provisorischen Verschlag der äußeren Säulenhalle, welche das neue Museum umzieht. In jenen Sälen hat man zunächst eine Anzahl von Gruppen des großen Frieses, welcher den pergamenischen Altar umzog, so weit es die vorhandenen Stücke gestatteten, zusammengesetzt. Daß es dabei an vielerlei Lücken nicht fehlen kann, begreift sich leicht, wenn man erwägt, daß fast Alles als Baumaterial für eine später um die Burg von Pergamon aufgeführte Schutzmauer verwendet worden ist. So zog man die einzelnen, oft kolossalen Sculpturblöcke aus der Mauer hervor, vielfach mit Mörtel bedeckt, auch stark beschädigt. Diese zerrissenen Glieder eines einst als Weltwunder bestaunten Ganzen vermochte man daher einstweilen nur zu größeren oder kleineren Gruppen wieder zu verbinden, deren innerer Zusammenhang nur in einzelnen Fällen — vor der Hand — festzustellen ist. Aber jeder Tag bringt aus deni übrigen, noch massenhaften Vorrath kleinere oder größere Ergänzungen, die oft so glücklich find, daß z. B. ein völlig abgeschlagenes Gesicht in der Athenagruppe durch mehrere, genau in einander passende Marmorsplitter völlig hergestellt wurde. Zwischen den am Boden liegenden Hauptgruppen sieht man nämlich auf zahlreichen Tischen eine Menge kleinerer und kleinster Fragmente ausgebreitet, an denen ohne Frage Vieles noch zur Ergänzung des Vorhandenen sich einstigen lassen wird. Endlich sind von einem zweiten, kleineren Friese, der etwa vier Fuß Höhe hat, während der große doppelt so hoch ist, eine bedeutende Anzahl von Gruppen, meistentheils recht gut erhalten, wenn auch mehrfach beschädigt oder verstümmelt, in zahlreichen von ihren Deckeln befreiten Kisten auf den Boden niedergelegt, also ebenfalls