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Wilhelm Lübke in Stuttgart.
nur sehr unvollständig zu genießen und noch weniger zu studiren. Was endlich die Würdigung des großen Frieses wesentlich erschwert, ist die schon erwähnte Verunstaltung desselben durch den in die feineren Falten eingedrungenen Mörtel, der nur dadurch entfernt werden kann, daß man ihn durch geschickte Bildhauer sorgfältig fortmeißeln läßt: eine unendlich mühselige Operation, aber im gegebenen Falle die einzig mögliche, die übrigens, wie ich mich durch längere Beobachtung überzeugte, mit Behutsamkeit und Gewissenhaftigkeit ausgeführt wird.
Versuchen wir nun, eine Vorstellung von diesem großartigen Werke zu geben, und zwar zunächst von dem Hauptfriese. Bekanntlich war es der deutsche Ingenieur, Herr Humann aus Essen, der bei einem längeren Aufenthalt in Kleinasien zuerst auf der Akropolis von Pergamon Bruchstücke eines Relief-Frieses vom größten Maßstabe entdeckte, die er dem K. Museum zu Berlin schenkte, indem er zugleich auf weitere gründliche Untersuchung dieser Fundstätte drang. Diese drei gewaltigen Fragmente, die man seit Jahren im ersten Saale der Scupturengalerie zur Linken vom Haupteingange sah, waren offenbar Theile eines Gigantenkampfes. Nun fand man in einem der obscursten und stümperhaftesten Autoren aus dem Ende des klassischen Alterthums, Ampelius, eine Stelle, worin er eines vierzig Fuß hohen kolossalen Altars in Pergamon mit der Darstellung einer Gigantomachie in großen Bildwerken „oum, umxünm 86u1pturis" gedenkt. Diese Stelle, unterstützt von den Humann'schen Entdeckungen, bildete die Grundlage für die weitere Untersuchung, welche vor zwei Jahren in aller Stille durch Herrn Humann im Aufträge der preußischen Regierung begonnen wurde. Der sofortige Erfolg war ein über alle Erwartung glänzender. Die Unternehmung wurde sodann mit Umsicht und Energie zu Ende geführt, unterstützt durch die wissenschaftlich erprobte Sachkunde Conzes und durch niehrere tüchtige Architekten, welche den baukünstlerischen Theil der Ausgabe, Vermessung, Aufnahme, Reconstruction des Gebäudes, in die Hand nahmen.
Das Gebäude ragte auf einem terrassirten Abhange des Burghügels von Pergamon empor, weit in die Landschaft hinausschauend. Es bildete ein fast quadratisches Viereck von vierunddreißig zu siebenunddreißig Meter. An einer der schmaleren Seiten, wie es scheint, führte eine in den Kern des Unterbaues eingeschnittene Freitreppe empor, zu einem von einer ionischen Säulenhalle attikenartig umsäumten oberen Geschoß. Hier erhob sich in der Mitte der eigentliche Altar; hier muß man sich auch den zweiten, erheblich kleineren Fries, vielleicht nach innen angebracht, denken; hier standen wahrscheinlich auch zahlreiche, überlebensgroße weibliche Statuen, deren man ebenfalls eine ganze Reihe aufgefunden hat. Der große Fries aber bildete ohne Frage, nach faußen gewendet, wie ein kostbares Stirnband, den oberen Abschluß des Unterbaues, der sich auf drei Stufen erhob. An den in den Kern des Baues eingeschnittenen Treppenwangen setzte sich der Fries fort, denn man hat ein von der rechten Wange herrührendes Stück aufaefunden.