2^6 -Wilhelm Lübke in Stuttgart. -
Flügeln der Giganten, der Götter, der Adler, an den Thiervließen, mit welchen die Giganten sich schützen, an den Mahnen der Löwen, der Rosse und der Wolfshunde, endlich an den Flossen und Schuppenkämmen der Fische, Drachen und sonstigen Fabelwesen. Dies Alles kann nicht schöner, nicht malerischer wirksamer und zugleich Plastisch vollendeter gegeben werden, als es hier geschehen.
Ebenso ist auch an den Gewändern das Stoffliche sein hervorgehoben: gegenüber dem in breiten, tiefausgehöhlten Faltenmassen dahinrauschenden Schwung des Peplos, der so oft an die kühne Bewegung der Niobide des Vatican erinnert und im Wesentlichen auf die schwungvoll leidenschaftliche Kunst eines Skopas zurückzuführen ist, kommt das feine Linnen oder die gerippte Wolle der Uebergewänder ebenfalls zu ihrem Recht, so daß auch hier der Künstler alle Ausdrucksmittel einer ins Malerische gesteigerten Plastik zur Geltung bringt. In allen diesen Dingen beruht die griechische Kunst selbst dieser Spätzeit noch auf dem Vorgänge des Phidias, der zum ersten Mal an den Giebelfiguren des Parthenon das malerische Element durch seine Charakteristik der Gewänder in die Plastik eingeführt hat. Nur daß dasselbe in dieser nach effectvollerer Darstellung strebenden späteren Epoche sich noch reicherer Mittel bedient. Damit verbindet sich die Anwendung mancher naturalistischer Details: die angeschwollenen Adern am Körper des Zeus, die schon beim Poseidon des Parthenon sich zeigen, die schärfere Charakteristik der derberen Giganten, die z. B. bei dem hingestürzten Alten in der Hekategruppe selbst die Bezeichnung der Haare in den Achselhöhlen nicht verschmäht, — übrigens das einzige Beispiel in der ganzen Reihenfolge, soweit ich beobachten konnte.
Mit dem malerischen Stil hängt nun auch die außerordentliche Tiefe der Reliefs zusammen, die in ihren einzelnen Theilen, den Köpfen, Armen, Beinen, sich völlig frei vom Grunde lösen, während der Plan so vertieft ist, daß man in den Gewandfalten den ganzen Arm bergen kann, und daß der Hintergrund überall für die Nebenfiguren im zweiten Plan, für die Windungen der Schlangenleiber, bisweilen auch für die Andeutung des Terrains durch Schilf, Pflanzen oder dgl. aufs glücklichste verwendet werden konnte. Daneben ist dann wieder ausfallend die wunderbare Sorgfalt der Ausführung bis ins Kleinste, die besonders in den zierlichen Sandalenstiefeln und den aufs Sauberste dargestellten Schuppen der Schlangen zur Geltung kommt. Unvergleichlich fürwahr ist die Virtuosität dieser Technik, die den starren Marmor bewältigt als wäre er weiches Wachs, die den Zartesten Fluß der Formen, die reizendsten Spiele des Faltenwurfs zuni Ausdruck bringt, und in der tiefen Aushöhlung der Gründe, namentlich in den Gewändern und den sich frei loslösenden Körpertheilen, eine Bravour bekundet, die unfern größten Künstlern ein Staunen abnöthigt. Und dabei diese Gewissenhaftigkeit', die sich nimmer genügt, die selbst jene ganz verborgenen Partien, die sich bei der Ausstellung dem Blicke völlig entziehen mußten, mit unerschöpflicher Sorgfalt durchbildet: in der That ein Verfahren vom höchsten künstlerischen Werth, das bei allem Streben nach