Issue 
(1880) 38
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Die pergamenischen Funde.

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Wirkung doch niemals in decoratives Scheinwesen sich verirrt. Auch darin finden wir den Meister von Pergamon in den Bahnen des Phidias, der ähnliche Gewissenhaftigkeit am Parthenon bewährt.

Nimmt man alles dies zusammen, den malerischen Stil, die pathetisch- leidenschaftliche Behandlung, die Kühnheit und Gewalt der Motive, so ist rasch ein Vergleich mit der Sculptur der Spätrenaissance und des Barocco zur Hand. Sieht man aber genauer zu, so bemerkt man bald, welch' himmelweiter Unterschied, trotz scheinbarer Berührungspunkte, beide Kunst­richtungen von einander trennt. Nicht blos in dem prahlerischen Zurschau­stellen einer übertriebenen Muskulatur, sondern mehr noch in dem blos auf decorativ malerischen Effect hinarbeitenden Gewandstil ist jene Barockbildnerei weit von der pergamenischen Kunst entfernt. Selbst der Laokoon zeigt in der etwas geschwollenen Muskulatur und in der manieristischen Haarbehandlung dem Barockstil sich viel näher verwandt, als diese pergamenischen Arbeiten, die im strengen Verständniß des Körperbaues, in der einfacheren, un­befangeneren, gesunderen Darlegung feiner Schönheit, Amnuth und Kraft, sich weit mehr als Erben der Kunst eines Phidias erweisen. Man braucht darum den Laokoon nicht in eine wesentlich spätere Zeit zu rücken; aber man muß es ausdrücklich betonen, daß wir in der ganzen antiken Plastik gar nichts kennen, was den großen Giebelsculpturen des Parthenon, trotz einer weit mehr auf's Malerische gerichteten Behandlung, noch so nahe stände, so ver­wandt, ja in gewissem Sinne fast ebenbürtig wäre. Man betrachte z. B. den Zeustorso, den Poseidon, den Apollo oder Dionysos, und man wird finden, daß hier die edelste Naturempfindung sich in feinen charakteristischen Unter­schieden ausspricht. Nicht minder lebendig ist das Naturgefühl in der Behandlung der Gewänder, die aus der Basis dessen, was ein Phidias, Praxiteles, Skopas geschaffen, in ihrem Faltenwurf auf's Feinste verstanden sind und durchaus die Form und Bewegung des Körpers zum Ausdruck bringen, dies aber auch bis in die zartesten Nebenmotive verwirklichen, so daß sie, wie alle gute antike Gewandung es thut, einer edlen Instrumental­begleitung ähnlich, die Melodie des Gliederbaues ausklingen lassen. Das Alles ist von der Barocksculptur so weit wie möglich entfernt. Auch darauf ist noch hinzuweisen, daß die Gewänder stets bei jenen Gestalten, welche in ähnlicher Bewegung kämpfend, dahineilend, abwehrend geschildert sind, durch wohlgewählte Unterschiede zur Charakteristik der einzelnen Gottheiten bei­tragen: das Jugendliche einer Aphrodite, das Matronale einer Hekate, das Ueppige einer Selene ist in der Behandlung der Gewänder mit ähn­licher Feinfühligkeit zum Ausdruck gebracht, wie es Phidias bei den Giebel­gruppen des Parthenon durchgeführt hat. Dabei sind gewisse kühne Bewegungsmotive, die einer leidenschaftlicheren Kunst entsprechen, bei mehreren in gewaltigem Sturm dahinrauschenden Gestalten in der schwungvolleren Art durchgeführt, wie wir sie als Ausdruck der Kunst eines Skopas in Figuren, wie die rasende Bacchantin, der schon erwähnten Niobide des Vatican und

Nord und Süd. XIII, 38.

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