Issue 
(1880) 38
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2H8 - Wilhelm Lübke in Stuttgart. -

anderen kennen. Hier wirkt die Gewandung wie ein reich besetztes Orchester, das mit allen Mitteln einer hoch entwickelten Instrumentation dramatisch­pathetische Stimmungen schildert.

Und so werden wir denn bei genauerer Untersuchung des Stils dieser Werke immer wieder aus die Vorbilder eines Phidias oder Skopas zurückgesührt, deren Schöpfungen diese Arbeiten hellenischer Spätzeit sich als unmittelbare geistige Nachfolger anschließen. Denn die einzelnen, mehr malerischen und (man darf das Wort nur nicht im allermodernsten Sinne auffasfen) naturalistischen Elemente sind die nothwendigen Ergebnisse einer mehr auf das Effectvolle und Pathetische gerichteten Fortentwicklung; die Grundlage der Aufastung und des Stils aber ist und bleibt eine durchaus ideale. Man darf die pergamenischen Schöpfungen denen der attischen Blüthezeit ungefähr so gegenüberstellen, wie die Tragödien eines Euripides denen eines Sophokles und Aefchylos. Während aber der Meister von Pergamon den alten idealen Traditionen der attischen Kunst treu bleibt, kann nicht genug betont werden, mit welch selbstständiger Genialität er dabei verfährt. Wohl kann man einzelne Motive von Stellungen und Bewegungen herausgreifen, die an ältere, an gewisse Metopen des Parthenon, an den Fries von Phigaleia, an die Seulpturen des Mausoleions erinnern, wenn auch nicht in stärkerem Grade, als es bei verwandten Kampfscenen sich immer wieder aus der Natur der Aufgabe von selbst ergeben wird. Dagegen strömt das ganze Werk über von freien, lebensvollen, dabei durchaus originellen und packenden Motiven. Wie die beiden Schlangen die Hekate anfallen, wie der Adler des Zeus feine Fänge in den Unterkiefer einer Schlange schlägt, wie das Zusammenbrechen und der Todeskampf der Giganten mannigfach geschildert wird, das Alles ist ebenso eigentümlich wie ergreifend in Erfindung und Ausführung. Und dabei noch dies bewegte, mannigfaltige Thierleben, das alle Gebiete des Thierreiches in sich zusammenfaßt und auch von den phantastischen Verbindungen menschlicher und thierischer Formen einen stärkeren Gebrauch macht, als irgend ein anderes Werk der antiken Kunst. Spricht sich darin ohne Zweifel der Einfluß des Orients aus, dem die spätgriechische Kunst sich wieder ausgesetzt sah, nachdem sie in der höchsten Blüthezeit die Fabelwesen des Ostens allmählich ausgemerzt hatte, so können wir doch nicht umhin zu gestehen, daß diese Aufnahme fremder Formen sich mit dem hohen Sinn für organisches Leben und für Schönheit vollzog, welcher das Erbtheil hellenischen Geistes ist. Und wer möchte dieses phantastisch-poetische Element missen, welches dieser Schöpfung einen solchen Reiz verleiht! Bei allem Festhalten an traditionellen Grundzügen ist es daher ein Werk, das durch Originalität und Frische wundersam fesselt und zu den größten Meister­schöpfungen der antiken Welt gerechnet werden muß. Wir stellen es ent­schieden über die Friese des Mausoleions und vermögen, um dies noch ein­mal auf das Bestimmteste zu betonen, nur die Parthenon-Sculpturen ihm an die Seite zu fetzen. Und wenn man schon am Laokoon die kunstvolle Ver­schlingung dreier menschlicher Körper mit den beiden Schlangenleibern so hoch