Issue 
(1880) 38
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Wilhelm Lübke in Stuttgart.

Bedeutung verleihen. Von ganz vorzüglicher Schönheit endlich ist ein idealer weiblicher Marmorkopf, dessen Nase freilich zerstört ist, der aber durch die köstliche Frische der Formen, den zarten Reiz jugendlicher Anmuth zu den herrlichsten Jdealköpfen des klassischen Alterthums gehört und bald in Gips­abdrücken überall verbreitet sein wird. Es ist kein Grund anzunehmen, daß dieser wundervolle Kops nicht dem großen Altäre gleichzeitig sei.

Fragen wir nun aber nach der genauen Zeitbestimmung des letzteren, so wird eine aufgefundene Inschrift von Bedeutung, welche es nicht zweifel­haft läßt, daß Eumenes II., der in der ersten Hälfte des zweiten Jahr­hunderts vor Christo regierte (197159), der Stifter dieses großartigen Werkes ist. Gleich seinem Vater Attalos hatte er die verwüstenden Raub­züge der Gallier, welche vorher schon Nordgriechenland, dann aber Kleinasien bedrohten, in siegreichen Kämpfen zurückgeschlagen und für lange Zeit noch einmal die griechische Cultur gerettet. Wie aber nach den Perserkriegen die Athener ihren Parthenon als glänzendes Siegesdenkmal hinstellten, so lag es auch jetzt noch in der schönen Sitte der Hellenen, den Göttern für ähnliche Gunst in gleicher Weise monumentale Kunstwerke als Weihgeschenke zu errichten. So war das Urbild des Belvederischen Apollo kurz vorher ent­standen, als dankbares Siegeszeichen für die Vertreibung der Gallier von dem Heiligthum des Gottes zu Delphi. Denn in der wilden Schlacht waren die leuchtenden Bilder des Apollo, der Artemis und Athena plötzlich erschienen, hatten mit Gewittersturm und Hagelschlossen die Feinde erschreckt und den Griechen den Sieg verliehen. In derselben Gesinnung hatte Attalos für seine Siege über die Gallier Statuengruppen nicht bloß in seiner Hauptstadt ausgestellt, zu welchen ohne Zweifel der sterbende Gallier und die sogenannte Arria- und Patus-Gruppe gehörten, sondern auch auf die Akropolis von Athen war durch ihn ein Weihgeschenk gestiftet worden, von welchem man in jüngster Zeit manche Einzelfigur, zerstreut in den verschiedensten Museen, namentlich in Venedig und Neapel, hat Nachweisen können. Nun erhalten wir ein neues, und zwar ohne Frage das großartigste Zeugniß von der Kunstpflege der Attaliden; denn in der Schlacht der Götter gegen die Giganten sollte, Allen verständlich, der siegreiche Kampf hellenischer Cultur gegen die zerstörende Gewalt der Barbaren geschildert werden.

Es braucht kaum angedeutet zu werden, welche Bereicherung, ja welche völlige Umgestaltung unsere Anschauung von der spätgriechischen Kunst durch diese großartige Entdeckung erfahren hat. Wohl wußten wir aus den Nachrichten der Alten von den glänzenden Prachtbauten der Diadochenresidenzen, von den Wunderwerken Alexandriens, Antiochiens, Pergamons. Aber die zer­störende Macht der Geschichte ist gerade gegen die Werke dieser Epoche besonders verheerend gewesen; fast kein Stein ist von all der Pracht auf dem andern geblieben. Doch hat sich längst die Vermuthung immer unabweisbarer herausgestellt, daß vieles von den Baugedanken, Coustructionen und Anlagen der römischen Zeit auf un.ergegangeneu Vorbildern der hellenistischen Epoche