Issue 
(1880) 38
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Die Rinder des Ostens.

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jedoch ein Bild genau copiren oder ein Musikstück strenge im Geiste des Künstlers vortragen, der es schuf, dann kam trotz unermüdlichen Fleißes und überraschenden Gedächtnisses sicher die Stelle, wo Irenens Originalität an dem Vorbilde eine kleine Untreue übte. Es war, als wenn sich der etwas übertriebene Rhythmus ihrer Muttersprache den Tönen und Formen mit­theilte; das klassische Gewand des Kunstwerkes wurde um eine Falte zu reich; das Kind des Ostens konnte sie nicht verleugnen. Ihr Genius war die Phantasie; das Temperament ihres Blutes die bewegende Kraft.

Kamen musicirende Zigeuner in das Städtchen, so versäumte Graf Okany niemals, sie in sein Haus zu bescheiden. Irene mußte an das Clavier, und nun begann der Czardüs.

Auf ein von ihr gegebenes Zeichen erhebt sich in kühnem Aufbau der Töne ein wilder Schmerzensruf.

Allmählich verhallt die wilde Gewalt des Klanges und leiser, immer leiser vernimmt man das Beben der Tonsäulen.

Eine Melodie, Sehnsucht und Klage seufzend, steigt nun aus den einzel­nen Instrumenten auf, wie ein Gebet aus zerbrochenen Seelen. Auf matten Flügeln schwingt sich die schmerzliche Frage scheu empor zum ewig verhüllten Bilde des Schicksals; sanft begleitet von den Zuckungen der gemeinsamen Noth.

Doch bald kehren die singenden Boten der Trauer von des Fluges Höhe zurück, und wimmernd tauchen sie unter in den weinenden Chor. Tenn in den Sphären, wo die Sterne gleichgiltig über dem Loose der Menschen wandeln, erstarrt der glühende Hauch, der sich dem brennenden Schmerze der Seele entrang, zu Eis; und in so hoffnungslosem Schweigen ruhen die unendlichen Küsten des Weltraumes, daß ein kaum hörbares Lispeln, auf bangen Lippen schwebend, nur mehr das fliehende Leben des Tones verräth.

Und nun hebt ein gemeinsamer Hymnus an, voll des ergreifendsten Jammers. In vielstimmiger Klage, harmonisch zum Liede gestaltet, erklingt das Leidens-Epos. Aber nicht lange währt des Schmerzes maßvolle Feier. Wie Sturmvögel kreisen die Stimmen der Geigen und Clarinetten mit wilden Geschrei über den Wogen des Clavieres und Cymbels, und in ungeberdigen Rhythmen erdröhnen die wuchtigen Stöße der Bässe, das bevor­stehende Entfesseln der Elemente verkündend.

Das Maß der Leiden läuft über. Verzweiflung ergreift den über­schäumenden Becher und schleudert der fruchtlosen Klage bitteren Inhalt lachend zu Boden. Zu Flammen werden die Fluthen der Thränen, mit denen unsäglicher Schmerz das Auge der Gottheit vergeblich zu rühren ver­suchte, und leuchten, vom brausenden Sturmwind gepeitscht, zu riesigen Fackeln anschwellend, dem wild ausbrechenden Tanze und entfachen mit immer erneuerten Gluthen den zügellosen Taumel des Festes. In unerhörtem Wirbel reißt er die Paare dahin!