Issue 
(1880) 38
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Die Ainder des Gstens.

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gab, so nahm er jetzt ihr Gemüth in Pflege. Innige Rührung bewegte ihn, wenn sie mit kindlicher Dankbarkeit zu ihm wie zu einem Erlöser aufblickte. Die scheinbare Willenlosigkeit ihres Wesens mochte die Qualen seiner Leiden­schaft gemildert haben.

Das Städtchen, welches sie bewohnten, war gleichsam der Hauptsitz vieler durch Verwandtschaft unter einander verbundener Familien. Obwohl der Verkehr zwischen ihnen um vieles ungezwuugener war, als es, unter dem Einflüsse anderer Sitten hätte sein können, so gab Irenens Zurückgezogenheit vom geselligen Leben und ihr fast ausschließlicher Umgang mit Daniel bei der häufigen Abwesenheit ihres Mannes endlich doch Veranlassung zu Ge­flüster und Deuteln. Daniel, zwar freundlich mit Allen, stand den Leuten dennoch ferner. Bildung und Erziehung hatten eine natürliche Scheidewand geschaffen. Weshalb sollte gerade Irene in so ausfälliger Weise von ihm bevorzugt werden? Ueberdieß war der Riß in Okanys Hause auch nur zu sichtbar geworden.

Wenn ein Familienglied starb, so gebot die alte Sitte, daß an dem Tage, an dein dessen Vermächtnisse und Legate zur Verkheilung kamen, in dem Hause des Verstorbenen ein Familienfest gefeiert wurde, zu dem alle anwesenden Verwandten und überhaupt die in diesem Falle Bedachten geladen werden mußten. Dieser Gebrauch galt gleichsam als ein Dankopfer für den Todten, und es war üblich, daß Mehrere von den Anwesenden die herrlichen Eigenschaften des Tahingeschiedenen in wohl eingeprägten Redensarten priesen. So widerwärtig Daniel die Erfüllung dieser herkömmlichen Pflicht erschien, er konnte sich derselben nicht entziehen.

Die Gäste waren um eine große Tafel versammelt. Okany hatte sich bei dem Liebesmale, seiner todten Schwester zu Ehren, ebenfalls eingefunden. Plötzlich erhob er sich von seinem Platze; man hätte erwarten sollen, daß auch er der Verstorbenen einen Nachruf widmete, obgleich ihm die Rede nicht geläufig floß. Statt dessen heftete er seinen Blick eine ganze Weile lang unverwandt auf einen ihm gegenübersitzenden Mann.

Seht Ihr dort meinen lieben Vetter Lazar?" Hub er in einem Tone an, der ironisch klingen sollte, aber nichtsdestoweniger an der Schwerfälligkeit der Zunge des Redners keinen Zweifel aufkommen ließ.

Seht Ihr meinen geliebten Vetter Lazar? Nun, denkt Euch einmal diesen armen Lazarus; der hat mir bange machen wollen. Wir saßen bei einem Glase Weines. Das ist seiue schwache Stunde, dachte er; denn wie wäre er sonst auf den tollen Einfall gekommen, mir Angst einjagen zu wollen, mir, dem Okany?! Und womit? Das errathet Ihr nimmermehr? Mit meiner Irene und dem Daniel. Gelt Lazar, Du guter, treuer Freund, lalltest Du nicht Etwas von einem unerlaubten Verhältnisse zwischen den Beiden? Meine Irene? Es ist zum Lachen! Ich hätte den Kerl unter den Tisch trinken und ihn dann durchprügeln sollen; aber da wäret

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