Issue 
(1880) 38
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262 - Rudolph, Fürst.zu Liechtenstein. -

Ihr wohl um dm Spaß gekommen, denn seine fünf Sinne hätte er sicherlich bis heute nicht wiedergefunden".

Ein unerlaubtes Verhältnis! Seht Euch einmal diese an. Daß sie lügen könnte!? Alles müßte sie mir sagen, was sie auf dem Herzen hätte, wenn ich auch nicht ein so hochgebildeter und liebenswürdiger Mann bin wie mein Neffe Daniel; aber sie hat nichts auf dem Herzen. Das Weib des Okany lügt nicht. Nun, sprich, Irene, hast Du wirklich ein unerlaubtes Verhältnis; mit dem Propheten?"

Das letzte Wort verschlang ein schallendes Gelächter, in das der sonder­bare Spaßmacher ausbrach und mit dem er, sich wieder niederlassend, den Tisch erschütterte. Niemand hätte gewagt, den Sprecher zu unterbrechen. Die Gesellschaft aber gerieth in eine unbehagliche Stimmung. Es trat eine peinliche Pause ein. Irenens blasses Antlitz bedeckte sich mit Purpurröthe. Daniel, sich meisterhaft beherrschend, verzog den Mund zu einein mitleidigen Lächeln; und in dem Auge des Vetters leuchtete ein Zornesblitz, den er unter den Tisch schleuderte.

Ich werde Dir den Spaß schon einbringen", dachte er bei sich selbst.

Kurze Zeit darauf fühlte sich Irene Mutter. Die Freude über dieses Ereigniß hatte auf die Lebensweise des Grafen Einfluß genommen. Seltener verließ er sein Schloß; den Gelagen blieb er fern. Irenen aber erwies er ein Maß von Aufmerksamkeit und Sorgfalt, dessen Ungewohntheit sie dank­bar hinnahm, ohne sich indessen darum glücklicher fühlen zu können. Daniels gelehrige Schülerin lebte ihren Pflichten. Ihn sah sie weniger oft. Nicht des tückischen Vetters wegen; sondern, weil der Graf die Abendstunden meist mit ihr verbrachte, was die Besuche bei Agnes ebenso beschränkte als das Erscheinen dieser im Hause Okany.

Der Graf war der Beneidenswertheste unter ihnen geworden.

Hatte Daniel seine Mission vollendet? Fühlte er eine erquickende Befriedigung über den eingetretenen Wechsel.

Agnes ausgenommen, wird wohl Niemand die geheimsten Regungen dieser selbstlosen Seele errathcn haben. Jedenfalls liebte er Irenen mehr als sich selbst, daß er den lichten Schimmer an dem düsteren Horizonte ihres Schicksales mit schmerzlicher Freude begrüßte. Aber, aber! Der trunkene, Liebe stammelnde Oheim, und Irenens holdseliges Wesen! Es war eine Grauen erregende Vorstellung.

LazLr galt als der muthmaßliche Erbe eines großen Theiles der dem kinderlosen Okany gehörigen Güter. Er war weit jünger als dieser und hatte sich kurz vor dem Vetter, um die Hand der schönen Irene beworben. Man hatte ihn nicht geradezu abgewiesen; als indessen der stolze Graf gekommen war, hatte jener den Platz räumen müssen, das war selbstverständ­lich gewesen.

Von jenem Augenblicke an trug er einen Groll mit sich, dem erklärliche Befürchtungen nicht fremd waren.