Die Kinder des Ostens.
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Schlaflos setzte sie sich an das offene Fenster. Der Mond war eben ausgegangen und beleuchtete die grenzenlose Einsamkeit. Niemals war ihr diese so traurig erschienen.
Wie leicht ward es ihrer Phantasie ehemals, die weiten lautlosen Fluren der Heimath mit heiteren hoffnungsvollen Bildern zu beleben?! — Und heute blickte sie in ein unendliches düsteres Grab, auf dem dunkele Gestalten des Schreckens und Todes unter des Nachtgestirnes kalten Strahlen unheimlich nmherwankten.
Was stand ihr Alles bevor?
Sie schauerte zusammen. Im Hause war cs längst still geworden. Ja, still war die Nacht, daß man ein Blatt zur Erde fallen hören konnte. Halb träumend hielt sie das müde Haupt, das sie auf die Hand stützte, der frostigen Luft entgegen und horchte, ob denn nichts des Schweigens furchtbaren Ernst unterbrechen würde. Da regte sich's plötzlich im unteren Hausflur. Sie glaubte das Gemurmel von Stimmen zu vernehmen; — gleichzeitig drang von der Seite des Hofes ein dumpfer Lärm herüber; er mochte von dem Stampfen der Pferde im Stalle herrühren. Schon begrüßte sie die Zeichen des Lebens mit einer dankbaren Empfindung.
So war denn die Oede des Todes nur eine vorübergehende gewesen, und sie selbst saß nicht aus einem Grabe?! — Da ward es mit einem Male stille — die Pferde stampften nicht mehr, aber deutlicher als zuvor unterschied sie bald darauf den Klang der Stimmen. — Die eine schien ihr bekannt, die andere meinte sie noch niemals gehört zu haben. Sie hielt den Athem an und lauschte. —
Ein scharf schneidiger Ton drang bis in ihr Ohr, daß ihre Seele sich vor Entsetzen sträubte.
Das ist ja Lazurs Stimme, dachte sie. Oh! sie hatte sich seinen Ton wohlgemerkt — und streckte unwillkürlich den Arm nach dem schlummernden Kinde aus.
Der letzte Rest von Wärme in dem erstarrten Herzen hatte ihr diese Bewegung eingegeben, indessen ihr Auge ängstlich bald nach dem Fenster, bald nach der Thüre blickte.
Kaum blieb ihr Zeit zu weiterem Besinnen, als aus dem Hinteren Hof- raume, um die Ecke des Hauses biegend, ein Viergespann hervorbrach, welches in der Richtung des Mondlichtes über die Ebene sauste. Neben dem, der die Pferde lenkte, saß eine breite schwerfällige Gestalt: Ein Augenblick genügte,
um Irenen die Umrisse ihres Gatten erkennen zu lassen, der sich krampfhaft am Kutschbocke sesthielt. Ebenso schnell war das Gespann entschwunden, als das Auge Zeit braucht, um sich zu erholen, wenn es ein Blitzstrahl blendet. Sie stieß einen Schrei aus, mit dem sie die kleine Daniela beim Namen rief, um sich zu überzeugen, daß das Kind lebe. Als dieses die schlaftrunkenen Aeuglein öffnete und Irene das warme Gesichtchen an ihren Lippen fühlte, strich sie mit der Hand über die eiskalte Stirne. —