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Die Kinder des Gstens.
wahr, Agnes? Und, was soll nun aus uns Beiden werden? Ist Dir nicht bange um die Schwester, Daniel? Und, — ich? —> Doch nein, ich habe keinen Anspruch zu erheben; nach Allem, was Du für mich gethan, kann, was ich wünsche, nur der Erfüllung dessen gelten, was Deinem Wunsche dient; und seh' ich Dich auch schweren Herzens scheiden auf langes, langes Nichtwiedersehen, so denke nicht, es sei mir bange um mich selbst — ich habe kein Recht dazu; mir bleibt mein Kind; doch diese da —und sie umarmte Agnes mit Innigkeit — „werde ich sie trösten können mit meiner ganzen Schwesterliebe?"
„Das Schicksal fügt es sicher, daß wir uns Wiedersehen, wenn Ihr mich nöthig habt; soll ich es aber wünschen, daß Ihr meiner bedürfet? Mir bangt vor meiner Wiederkehr, denk' ich des letzten Mals. Weiß ich erst meine liebe Agnes mit Dir vereinigt, Tante Irene, dann mag ich beruhigt zu den Wilden ziehen. Euch aber rathe ich ebenfalls: bleibt nicht daheim. Wann erst das halbe Trauerjahr verflossen ist, dann sucht auch Ihr die Bilder zu vergessen, die Euch die grausigen Erinnerungen des Ortes noch in allzu frischen, grellen Farben vor die jugendliche Seele führen; denn in Allem soll der Mensch nach Schönheit streben; selbst im Schmerze".
„Geht nach Italien, und bei all dem Herrlichen, das Ihr dort schauen werdet, gedenket meiner".
„Und warum denn, gehst Du uicht mit uns, Daniel?"
„Mit mir ist es etwas Anderes. ^ Ein neuer und gewaltiger Drang beseelt mich. Versunken in dem Anblicke der Schönheit, ward mein Auge verwöhnt; dem in dem Genüße seliger Betrachtung Schwelgenden erwachte — ich wähne, es sei ein Rausch — die Begierde nach dem vollen Besitze der Schönheit. Nenne es eine Krankheit meiner Phantasie. — Mag sein. — Nenne es wie Du willst, — doch darf's nicht sein. Es darf der Mann das Leben nicht verlernen, wie es wirklich ist; und dieses lehrt mich, daß zwischen Schauen und Erreichen sich die Höhe eines Himmels schwindelnd ansthürmt. Darum fort in eine Welt, wo Alles ranh und wild, Natur und Menschen; wo unter dem Zwange der Entnüchterung der wahre Werth der Kräfte sich wiederfindet, und wo der Mensch von unten aus beginnt zu dem Gipfel seines Strebens aufzuklimmen. In eine solche Welt muß ich. Muß mir den weich gewordenen Sinn neu schärfen und stählen, daß ich Euch ein voller Mann bin, wann Ihr mich nöthig habt". —
„Und bist Du durch Nichts zurückzuhalten?"
„Durch Nichts!?" — erwiderte Daniel. Er konnte der inneren Erregung kaum mehr Herr werden, und warf einen bedeutungsvollen Blick auf Agnes.
Ihr standen die Thränen in den Augen, als sie sagte:
„Wir müssen uns darein fügen, Irene. Du weißt, was Daniel thut, ist recht gethan".
„Ja, das weiß Gott!" entgegnete zustimmend die Gräfin.