Issue 
(1880) 38
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- Die Ainder des Ostens. - 27T

hüllte leuchtend ihr die Bahn, die sie nun wandeln sollte; und so betrat sie jene Welt, die sie geahnt, ersehnt. Er schien ihr ein Wesen, das aus einer anderen Sphäre zu ihr herabgestiegen war; zu dem sie aufblickte mit ehr­fürchtigem Staunen, und das sie verehrte wie etwa ein Kind den Schutzgeist.

Der Freundin. Agnes freilich blieb Irene ein Räthsel; denn sie liebte ihren Bruder dann erst bewunderte sie ihn, und unsaßlich war ihr das Weib, das nicht wie sie für Daniel fühlte.

Ja! hätte sie an Irenens Stelle sein können!

Des zweiten Jahres Sommer war gekommen, seit Daniel Abschied nahm; doch keine Kunde seiner Wiederkehr. Er hatte lange, lange nicht geschrieben.

Agnes sehnte sich nach der Stille des Landes; dort wähnte sie für ihr besorgnißschweres Herz mehr Beruhigung zu finden als in dem Getriebe des städtischen Lebens.

Irenens kühner Geist wollte von schlimmen Ahnungen nichts wissen. Wenn auch sie Daniel schwer vermißte, so ging ihr doch sein Wünschen über Alles; und nur natürlich schien es ihr, daß sie die eigene Sehnsucht schweigen hieß. Er wisse schon, so meinte sie, weshalb er nicht schreibe, warum er ferne bleibe. Es war ja Alles recht gethan, so wie er es that; und für sein Schicksal fühlte sie kein Bangen; es könne ihrem Propheten, so sagte sie, nichts Böses widerfahren. Sie hatte ihre Noth mit Agnes; denn auch der Heimath einförmige Behaglichkeit brachte dieser keine Linderung ihrer Sorge.

Sie saßen eines Tages, von wem sonst als von Daniel sich erzählend, beisammen. Vor ihnen ausgebreitet lag die Karte von Afrika und beiden Oceanen. Im Geiste reisten sie mit ihm, die Wege suchend, die er schon gewandert; wohin es dann ihn triebe, berathend und erwägend, und forschend, wo er jetzt wohl sein mochte.

Irene hatte klug verstanden, die in qualvoller Angst umherirrenden Gedanken Agnesens durch Anschauung in begrenzte Bahnen zu lenken. Gelang es auch nicht, die Betrübniß ihres Herzens zu zerstreuen, Erleichterung doch verschafften ihr die Stunden, in denen Auge und Sinn fesselnde Be­schäftigung fanden.

Da geht die Thür aus; es tritt ein Diener ein. Zu der kleinen Daniela, bittet er, möge die Gräfin kommen.

Irene folgt ihm; Agnes bleibt zurück. Ihr Blick durchstreift sogleich mit Hast die Karte wieder und verliert, der besonnenen Führerin entbehrend, sich in den beiden Oceanen und findet keine Stätte des Verweilens. Wo er jetzt sein mag, o Daniel, Daniel!" flüstert sie mit schmerzensvollen Tönen vor sich hin.

Da, bei den: Namen Daniel, stürzt Irene in das Zimmer; das schöne Antlitz wie von Entsetzen zerstört, eilt sie durch deu Raum und schreit: Verschollen, Daniel, todt, verschollen!" und fällt erstarrt zu der Freundin Füßen hin.