Heft 
(1880) 38
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Rudolph , Fürst zu Liechtenstein.

Indien-Fahrer über England nach der Heimath und gab ihm einen Brief an Fräulein Agnes mit, worin er ihr den Vorfall treulich schildert und, der Familie Unglück tief beklagend, mit den Worten schließt,es müsse fa, so lange eines Menschen Tod nicht amtlich bestätigt sei, die Bermuthung für sein Leben sprechen".

Wenn Hoffnung selbst so arm an Gründen ist, wie mag ihr Balsam aus der Feder fließen!

Irene stand von dem Schlafe der Ohnmacht, ein völlig verwandeltes Wesen, wieder auf.

Es hat die Sehnsucht nach verlorenem Gute schmerzlicher in keinem Herzen je gebrannt. Ein wollüstiges Todesverlangen treibt des Blutes Wellen ihr glühend zu Gehirn und Herzen. Oh! sprengte doch die unge­stüme Wallung des Lebens übervolle Schale und spritzte deren überflüssigen Inhalt zum Dankesopfer aus für das Vermählungsfest, dessen grausige Feier sie als den einzigen, letzten Wunsch im Sinne hegt. Oh! käme nur ihr Bräutigam, der schwarze Ritter, und schwänge die Todesfackel zu ihrem Leichenzuge!

Irene aber sollte leben. Wie sie es sollte, faßte sie nicht. Denn wo sie weilte, bei Tag und Nacht, bei ihres Kindes Lächeln; allüberall und immer steht ein Todesengel, mit weiten schwarzen Flügeln ein ungeheueres feuchtes Grab umfächelnd, ihr vor der Seele; und die im Leben niemals ihr Herz mit holdem Zauberstabe berührte die Liebe erschließt mit einem Male sich gewaltsam und unselig, und pocht mit verzweiflungsvollen Schlägen an die Todespforte. Der Thränen milder Quell versiegt, und glühenden Blickes verschlingt ihr Auge die furchtbar schöne traurige Erscheinung, die Daniels verklärte Züge trägt.

Des Morgens früh beim Grauen, oder des Nachts, wenn Agnes still weinend schon zu Bette liegt, schleicht sich Irene in das Gemach, wo Daniels Reliquien sich befinden.

Da nimmt sie jedes Stück zur Hand; von allen Seiten es betrachtend; der kleinste Gegenstand konnte ihr ja von ihm erzählen: und mit den Dingen redet sie, wie sie dereinst mit ihm gesprochen, und richtet tausend Fragen, ja heiße bange Fragen an sie alle.

Sie aber bleiben taub für all' die Zärtlichkeit an ihrem Platze; und nur die Spuren, die sie tragen, sind stumme Zeugeu seiner Wanderungen und all' der Mühen und Beschwerden, die er bestand.

Da, eines Tages kommt mit manchem Anderen, das sie hastig durch­wühlt, ein rothes Buch ihr in die Hand. Sie schlägt es auf. Sein Tagebuch. Der Fund war kostbar.

Ja! Auch der Schmerz hat seine Freuden!" ruft sie schluchzend aus, und stürzt über die geliebten Züge und liest, des theueren Wanderers Fuß auf jedem Schrüt begleitend, was er Tag für Tag von seinen Erlebnissen verzeichnet.