Heft 
(1880) 38
Seite
281
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Die Rinder des Gstens.

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Schon regte sich's im Hause. Das Tagewerk bricht allenthalben an, und volles Sonnenlicht strömt durch die Fenster in das Gemach, wo sie mit ihren Schätzen weilet. Sie sieht sich ängstlich um und erwägt, ob sie sich trennen soll von dem todten Freunde, ob ihm Lebewohl sagen sür heute, bis die Heimlichkeit der nächsten Nacht ein ungestörtes Stelldichein ihr bringt, und denkt dabei, wie grausam kurz dem Menschen des Jammers stille Feier selbst bemessen ist; und kann nicht widerstehen; nimmt noch einmal das Buch zur Hand, und liest weiter:

Madeira, den . .ten 18 . .

^Der gestrige Tag" so schreibt er,war traurig und öde. Grau der Himmel, wie das Meer. Oben jagten sich die Wolken; unten die Wogen. Man hätte sie miteinander verwechseln mögen, denn sie schmolzen in eine ungeheuere farblose Masse zusammen, und die Lage des Schiffes, bald oben auf den Gipfeln der Wellenberge, bald unten in den Tiefen der Thäler, vollendete die Täuschung. Mit gleichmäßig wiederkehrenden Schlägen tobte der Wind in den Segeln und schlug an die Schiffswände.

Die Einförmigkeit des Schauspieles wirkte ermüdend. Ich hätte nie gedacht, daß die Natur auch ihre Häßlichkeiten haben könne; doch kommt Alles aus Licht und Farbe an, und, da allerdings gebietet sie über eine so plötzlich wirkende Zauberkraft, wie sie dem Menschen im Allgemeinen ver­sagt ist, und deren er höchstens im unbewußten Zustande des Traumes theilhaftig wird.

So träumte mir gestern Nacht von einem wunderschönen blumen- und blüthenreichen Eilande. In üppigen Wäldern herrschte ein lärmendes Singen und Treiben von Tausenden lustiger und bunt befiederter Vögel. Wie ich, der einzige Mensch, auf dieses Eilaud kam, weiß ich nicht. Mein Auge aber feierte einen Jubeltag der Pracht, und mich überfiel ein unwider­stehliches Gelüste nach dem in Farben prangenden Gefieder. Ich hatte keine Flügel, und doch flog ich von Ast zu Ast und haschte nach den Vögeln, deren Chor mich höhnend umschwärmte. Sie lockten mich hinauf bis in die Kronen der höchsten Bäume. Oft sah ich hinab in die schwindelnde Tiefe

unter mir; aber ich fühlte mich so sicher und wohl, da ich fliegen konnte.

Auf dieser seltsamen Wanderung wurde ich Plötzlich eines schneeweißen

Vögelchens gewahr, das unter dem Wipfel eines Baumes zwischen zwei mit

Thauperlen besprengten Blättern geborgen war. Es übte des Morgens heimliche Pflege an seinem Gefieder und blickte, das Köpfchen nach rückwärts über­beugend, wohlgefällig auf die Entfaltung seiner Flügel, welche sich je nach dem Wunsche ihres Gebieters, bald in Rosen, bald in Camelien zu ver­wandeln schienen. Das wundersame Spiel des seltsamen Waldkünstlers ent­zückte mich; aber es erwachte auch eine dämonische Lust in mir, mich der schönen Blumen zu bemächtigen. Irene sah ich schon damit geschmückt.

Ich wendete daher alle erdenkliche List an, mich der zauberhaften Er­scheinung unbemerkt zu nähern; aber behender und vorwitziger als ich,

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