Heft 
(1880) 38
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Rudolph, Fürst zu Liechtenstein.

flatterte der holde Schelm lange vorher auf, ehe ihn meine Hand erreichen konnte; und fetzte sich in das dichteste Geäste, wo er sich wohl sicher glaubte, so über mich hin, daß er mir gerade in die Augen sah. Es war ein Bild von höchstem Reize, und ich schämte mich fast meiner Begierde, daß ich das unschuldige Thier in seiner Ruhe gestört hatte.

Ich will Dich nur betrachten; fürchte Dich nicht weiter" sagte ich zu ihm, und schaute in seine beiden schwarzen Augen, die er unverwandt auf mich richtete.

Da wurde mir ganz sonderbar zu Muthe; ich schwebte, wie sest- gebannt durch seinen Blick, in der Lust, und konnte nicht von der Stelle. Dessen schien er ganz bewußt zu sein, denn er beugte das Köpfchen bis zu mir herab, erhob seine kleine kecke Stimme und sprach ganz deutlich zu mir: Liebst Du Irenen denn nicht mehr, daß Du mich Haschen willst? - Morgen zieh' ich über's Meer, und sage ihr, daß Du treulos bist!" Da er das letzte Wort gesprochen hatte und lachend davon flog, empfand ich ein unaussprechliches Weh im Herzen ; aber ich hatte in demselben Augen­blicke meine Beweglichkeit wieder gewonnen und setzte mit erneuter Kraft dein kleinen Unholde nach; er sollte mir den bitteren Spott noch büßen. Ein Schrei des Zornes und der Ungeduld verkündete mir den Verdruß des Ver­folgten. Zu jähem Stoße ausholend, fuhr er mit Blitzesschnelle von der Riesenhöhe hinab zum Erdengrund. Ich ihm nach und so ging es den Baum ans und nieder.

Da war mir mit einem Male, als liefe die Kette eines Uhrwerkes, das ich in mir verspürte, mit rollendem Getöse ab; meine Flugkraft erlahmte: noch einmal streckte ich den todesmatten Arm nach der ersehnten Beute aus, als ich mich an ihm ergriffen fühlte und erwachte.Was ist? Sterben wir?" ries ich schlaftrunken ans; undRasch auf Deck" hallte es durch den Schiffsraum. Mein Diener stand vor mir; das Licht des Tages versuchte durch die dichten Gläser der Lucken in die Kajüte zu dringen; ich warf mich in die Kleider und eilte nach oben. Ich fand die Bemannung des Schiffes auf dessen Sterne versammelt; sie alle wendeten die Blicke staunend nach Osten hin. Ein blumen- und blüthenreiches Eiland, über dem eben die goldene Morgensonne ausging, tauchte, eine wahre Zauberstätte, aus dem Meere empor. Das Schiff lag vor Anker, auf Funchals Rhede sein erquickendes Morgenbad nehmend.

Unter den ersten Menschen, denen ich begegnete, als ich das Land betrat, drängte sich ein junges Mädchen an mich heran, das Rosen und Camelien zum Kaufe bot. Sie waren aus weißen Federn kunstvoll gefertigt. Die Einwohner von Madeira sollen diesen anmuthigen Erwerbszweig ersonnen haben. Es berührte mich ganz sonderbar, daß ich auf eine so unerwartete Weise in den Besitz jener zauberhaften Erscheinung gelangte, die der Spuck eines Traumes gewesen war.

Sollten diese Federn etwa jenem geschwätzigen Vöglein angehört haben,