Heft 
(1880) 38
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-^ Die Ai n der des Ostens.

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das mich in der gestrigen Nacht so bitterlich verhöhnte? Dann würde es für seine Drohung hart genug bestraft worden sein.

Albernes, vorlautes Thierchen! Du meintest wohl, es würde Arene Deines Geplauders Sinn verstanden haben?! Sie, die nicht weiß, was treulos ist, da sie nicht ahnt, daß ich sie liebe? Sie, die niemals errathen kann, daß mir der Himmel nicht Engel genug hat, um ihrer Augen Licht Zu hüten, und daß ich dennoch Welten, Meere, Zeit und Gefahren zwischen mich und sie gestellt habe, damit ihr Herz, das nie der Liebe Glück gekannt, die Qualen dessen nie zu fassen sich bemühe, der lieben muß ohne geliebt zu werden. Zieh' immer hin, Du thörichtes Vögelein, und sage ihr, was Du willst; sag' ihr, daß ich sie liebte, seitdem aus einem holden Kinde ein blühendes Weib geworden war sie wird Dich dennoch nicht verstehen"

Hier unterbrach sich Irene.

War Alles denn ein Traum? Okanys Tod, der Abschied Daniels, die Reise nach Italien, die Schreckensbotschaft, und jetzt die letzten Worte, Daniels Geständniß; das ganze Leben etwa nur ein Traum, wie der, den Daniel beschrieb, und weiter nichts? Mit auf die Brust gesenktem Haupte, die Wangen glühend, die Pulse fliegend, saß sie da im Fieber; ihr Auge starrte in den vollen Sonnenglanz; doch, ob er die Wirklichkeit bescheine, oder ein tolles Spiel der kranken Phantasie, weiß sie nicht mehr.

Sie fühlt nicht mehr den Schmerz der letzten Tage; des Fiebers Gluth versengte die Erinnerung; zu lautem Jubel schwillt die Brust ihr an; doch ans den Lippen starb der Ton der Stimme, da sie das Rauschen zweier Flügel hörte, die über ihr Haupt durch das Zimmer streifen. Sie greift noch einmal nach dem Buche; doch, wie sie darin blättert, die eben gelesene Stelle aufzusuchen, läßt Hast sie das Gesuchte nicht mehr finden, und verzweiflungsvoll, als wollte sie die Nacht, die ihren Sinnen droht, sich von den Augen und der Stirne wischen, preßt sie das Haupt zwischen die beiden Hände.

Da Pocht es an das große Thor, das den äußeren Hofraum der das Schloß umgibt, von der Straße scheidet, die in das Städtchen mündet.

Vom Fenster des Gemaches, in dem Irene sich befindet, kann man den Hosraum überschauen, es sind an hundert Schritte bis zum Thore.

Irene fährt erschreckt vom Stuhle ans; wie Einer, der aus tiefem Schlaf erwacht, in dem ihn böse Träume quälten, befühlt sie sich, ob sie auch wirklich ist; sie selber ist, und kommt zu sich.

Es pocht ein zweites Mal. Sie wähnt, es sei an der Thüre des Gemaches, und ruft; doch Niemand antwortet.- da hört sie, wie das Thor im Hofe knarrt. Sie kennt den Ton genau aus jener Zeit, da Okany des Nachts niit seinem wüsten Schwarme heimkehrte. Sie hatte plötzlich vergessen, daß es nicht mehr Nacht war, und stürzt an das Fenster um zu horchen; doch wie ihr Antlitz in die goldene Beleuchtung des Tages taucht, reißt sie das Fenster auf mit einem Ruck.