Der schöne Lhecco.
285
Seht, und das möchte ich dem armen Kinde ersparen und habe ihm weiß gemacht, er sei schön und reich und glücklich, und die Leute, glaube ich, wollen an ihm gut machen, was sie vordem an mir Uebles gethan, und sagen ihm dasselbe, und Carmela am allermeisten: und er muß es dann wohl glauben, seit ihm Gott gegeben hat, daß er blind wurde" —
„Ist er denn unheilbar?" fragte ich sehr bewegt.
„Ich weiß es nicht", erwiderte sie ruhig. „Don Elemente, der Priester, erlaubte es nicht, daß ich ihn zu einem Arzt nach Neapel bringe. Und es wird auch wohl so am besten sein, da Gott es nun einmal gefügt hat".
Eben wollte ich der verblendeten Mutter eine heftig zurechtweisende Antwort geben, als sie auf einmal lebhaft ausrief:
„Ei wunderbar, dort kommt gerade Don Elemente, von dem ich sprach, die Straße herauf, da könnt Ihr Euch seine Meinung erklären lassen, wenn Ihr wollt, Herr, obgleich ich fürchte, Ihr werdet sie nicht verstehen, denn Ihr seid vielleicht Protestant".
„Das bin ich", sagte ich, „aber ich werde doch versuchen, es zu begreifen".
Ich war wirklich naseweis genug, den Priester zornigen Eifers zur Rede setzen zu wollen. Freilich, sobald ich Don Elemente näher ins Auge faßte, entsank mir doch ein wenig der Muth. Vielleicht nie im Leben habe ich einen gleich schönen und würdevollen Männerkopf gesehen — er erinnerte mich sofort unabweislich an Lionardo da Vinci — er mochte ein Sechziger sein, das volle Haupthaar und sein wallender Bart waren schneeweiß, die Züge des Gesichts hätten dafür sonst jugendlich scheinen können, wäre nicht der tiefe, leidenschaftslose, milde Ernst gewesen, der etwas wunderbar Zwingendes, Ueberlegenes hatte, und dem ich sogleich im Herzen mich heimlich beugte, obwohl ich es ganz anders im Sinne gehabt hatte.
Ich stellte ihn nicht zur Rede, sondern bat ihn sehr bescheiden um gütige Auskunft, wie es sich mit der Blindheit des jungen Ehecco und deren Heilbarkeit verhalte. Mit großer Freundlichkeit nahm er meine Nachfrage auf und lud mich ein, ihn zu seinem Hause zu begleiten, denn es sei eine eigenartige Geschichte, die sich nicht mit ein paar Worten abmachen lasse. Ich war gern bereit, und die Frau verabschiedete sich von ihm mit einem demüthigen Handkuß.
Das Haus des Priesters öffnete sich mit einer überwölbten Veranda nach der absteigenden Seite der schrägen Ebene von Anacapri und gewährte eine weite, wunderherrliche Aussicht auf das Meer und die schöne Schwesterinsel Jschia. Er nöthigte mich aus einen Platz, der mir den freien Blick hinaus gestattete, während er selbst mir gegenüber jener Schönheit gleichmüthig den Rücken kehrte. Ein uralt verwittertes Mütterchen brachte eine Flasche Wein, Don Elemente füllte die beiden Gläser und begann ohne weitere Einleitung seine Rede.
„Ihr habt die Teresa gesehen", sagte er mit einer stillen, tiefen Stimme,