Heft 
(1880) 42
Seite
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Der schöne Lhecco.

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derbtheit und so ungebäudigte Wünsche einer weiblichen Creatur. Am andern Tage aber war sie von Anacapri und auch unten von der Insel verschwunden, und Niemand wußte, wohin sie gegangen und wo sie verblieben sei. Die Meisten dachten, sie habe sich freiwillig ein Leids angethan und fingen an zu bereuen, daß sie zuvor nicht freundlicher und liebevoller mit ihr Verfahren seien. Und in dieser Gesinnung bestärkte ich sie mit aller Macht; mir selbst aber ahnte Wohl, welchen Weges das unglückliche Geschöpf gegangen sei. Und ich gab es auf, sie dem Heil wiederzugewinnnen und zu bessern und empfahl sie allein noch der letzten Gnade Gottes, dessen allmächtiger Wille ja Alles zum Besten fügt.

Nach einigen Monden aber kam sie dennoch wieder und war ganz fröhlich und guten Muthes wie nie zuvor, sie scherzte und plauderte mit den Leuten, die nun auch freundlicher zu ihr geworden waren. Niemand aber wußte, was sie so verwandelt hatte, als ich allein. Denn ich merkte es daran, daß sie nie mehr zur Beichte kam, und ich erkannte, daß ihre neue Heiterkeit nichts war als eine neue Verstocktheit ihres Herzens.

Und später ward ihre Sünde aller Welt offenbar, denn sie gab einem Knaben das Leben und war nun ganz zufrieden und glücklich; so sehr war ihre Verderbtheit schon gewachsen, daß sie sich weder um der Menschen Tadel noch um das Wort der heiligen Kirche kümmerte.

Bald genug aber zeigte sich's, daß dies arme Kindlein der Sünde allzu sehr nach dem Bilde seiner Mutter gerieth und unansehnlich und unlieblich von Gestalt und Angesicht ward, wie sie selber. Da gedachte ich ihren starren Sinn noch zu brechen und zur Buße zu bringen, ging zu ihr und redete ihr so üüs Gewissen: Siehe, Teresa, blicke Dein Kind an, das Du in Sünden geboren hast, und erkenne daran die strafende Hand Gottes, die Dich in ihm geschlagen hat, denn Du siehst, es ist häßlich und. gräulich von Ansehen und ganz Dir gleichend, und die Menschen werden an ihm keine Lust haben, so wenig sie Dich selber mit Freuden angeschaut haben. Und Alles, was Du selbst um Deiner Mißgestalt willen erduldet hast, wird diesem Knaben ebenso widerfahren, auf daß Du zur Buße gewendet werdest, wenn Du mit Schrecken die Wahrheit des heiligen Gottesfluches erkennst: die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied!

So redete ich zu ihr mit starken Worten, um sie desto gewisser zu erschüttern. Und wirklich glaubte ich im Anfang, daß mein Werk an ihr gelingen sollte, denn sie ward bleich und stumm und starrte mit bange forschenden Blicken das Kindlein auf ihrem Schoße an, ^das im Schlafe lag und darum nicht schöner war, als wenn es wachte. Ich schwieg, um ihr Zeit zu lassen, ihr trotziges Herz in der Stille zu beugen und vor dem Herrn zu demüthigen; da auf einmal schlug das Geschöpf erwachend die Augen zu seiner Mutter aus, und in derselben Secunde verwandelten sich