Heft 
(1880) 42
Seite
395
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- Goethes ,,Faust" als Bühnenwerk. - 395

Durch Phorkyas und den Chor vorbereitet, sehen wir dann, wie das glückliche Elternpaar, Helena und Faust, mit Euphorion aus demedeln Zwei" ist einköstlich Drei" geworden aus der Abgeschiedenheit hervor­treten.

In unbezähmlichem Drange will sich das Kind Euphorion, ohne der Warnung der Eltern zu achten, in die Lüste schwingen. Der unselige Flug bringt ihm den Tod, und Helena folgt dem geliebten Kinde in die Unter­welt. Nur das Gewand, das das schönste Weib umhüllt hat, bleibt in den Händen des verzweifelten Gatten und Vaters zurück. Die Gebilde des klassischen Alterthums gehen unter, und nun richtet sich auch aus der nutzlos gewordenen Vermummung des Phorkyas Mephisto in seiner wahren Gestalt riesenhaft auf.

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Vierter Act. Ein wehmüthiger Nachklang an Fausts Liebe zu Helena, demgöttergleichen Fraungebild",

Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt", erzittert in dem Monolog auf dem Kamme des Hochgebirges. Und kaum ist dieser verhallt, so taucht wie ein Märchen aus alten Zeiten ein selig schwermüthiges Erinnern an dasjugenderste höchste Glück", andes tiefsten Herzens frühste Schätze", an seine Liebe zu Gretchen wieder auf.

Aus diesen süßen und schmerzlichen Träumereien rafft sich Faust, als der Genosse Mephisto an ihn herantritt, wieder zur That auf. Mephisto ist noch immer weit entfernt, seine Wette zu gewinnen. Noch legt sich Faust nicht beruhigt auf's Faulbett. Sein Streben, seine Thatkrast sind noch un­gebrochen.

Welche gewaltige ethische Bedeutung und alles sühnende Kraft Goethe in seinemFaust" dem Schaffen, der Arbeit, der That beimißt, werden wir am Abschluß der Fausttragödie am deutlichsten erkennen. So lange Faust wirkt und schafft, ist er nicht verloren, und noch ist dasheiße Be­mühen", von dem Faust schon im ersten Satze des ersten Monologes spricht, nicht erlahmt. Noch will er kämpfen, ja, gegen das Gewaltigste den Kampf aufnehmen. Er, der Mensch, will mit Menschenwerk die zwecklose Kraft unbändiger Elemente besiegen:

Erlange dir das köstliche Genießen,

Das herrische Meer vom Nfer auszuschließen,

Der feuchten Breite Grenzen zu verengen Und weit hinein sie in sich selbst zu drängen".

Ehe er diesen grandiosen Plan auszuführen vermag, bietet sich seiner Thatenlust und Thatkraft eine andere Befriedigung. Mittlerweile ist es mit der kaiserlichen Herrlichkeit, wie Faust und Mephisto zu Beginn des zweiten Theils sie begründet hatten, in die Brüche gegangen. Zeitweilig hatten sie der reellen Geldnoth durch denSchein", wie unsere Sprache mit geistvoller Zweideutigkeit und Doppelsinnigkeit sagt, also durch Schwindelpapiere, durch