Heft 
(1880) 42
Seite
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Paul Lindau in Berlin.

die künstliche Anspannung des Credits wehren und das genußsüchtige Volk durch wilde Belustigungen zerstreuen und zur Ruhe bringen können; aber die unerbittliche Wahrheit ist mit der Zeit durchgedrungen. Man hat aus dem Faust" Nachweisen können, daß Goethe als echter vatss, als Dichter und Prophet, die wichtigsten zukünftigen Ereignisse vorhergeahnt und vorhergesagt habe. Der Militärschriftsteller hat nachgewiesen, daß die Geisterschlacht in allen Hauptzügen mit einer Entscheidungsschlacht unserer neuesten Zeit voll­kommen identisch sei; der Culturkampf ist im zweiten Theil (Scene zwischen Bischof und Kaiser) ganz getreu geschildert, und hier haben wir ein über­raschend wahrhaftiges und ähnliches Bild der Napoleonischen Wirtschaft und der Haltung des französischen Volkes unter dem letzten Imperator. Von nun an hört die Uebereinstimmung allerdings aus.

Das Reich des Kaisers kracht in allen Fugen. Es ist zu schwach, um dem Ausbruch der Anarchie zu wehren und dem Umsichgreifen derselben einen Damm entgegenzusetzen. Das brutale Faustrecht herrscht. Die Empörung gegen das Oberhaupt ist riesig angewachsen, und es steht nun die Entscheidungs­schlacht bevor zwischen der Rebellion, die einen Gegenkaiser an ihre Spitze gestellt hat, und dem alten angestammten Kaiser, dem Freunds Fausts.

Für diesen letzteren will nun auch Faust wieder eintreten wohl weniger aus monarchisch legitimistischer Gesinnung, als aus der menschlichen Regung, daß es ihm leid thun würde, wenn sein alter Bekannter Kops, Kragen und Krone verlieren sollte.

Er jammert mich, er war so gut und offen".

Und so zieht denn Faust mit Mephisto und der wunderbaren Heeres­macht, die dieser ausgeboten, mit dendrei Gewaltigen" und dem kaiserlichen Heere als erwünschter Bundesgenosse dem Kaiser zu Hilfe. Die Schlacht bringt diesem den Sieg und dem Aufstande den Untergang. Die in der Dichtung sehr ausführlich geschilderte und von Strategen als ein wahres Kunstwerk gerühmte Schlacht muß auf der Bühne natürlich auf das Uner­läßliche grausam zusammengestrichen werden.

Zum Dank für seine waffenbrüderlichen Dienste wird Faust vom Kaiser mit der Seeküste belehnt; und es versteht sich, daß nun auch der Diener der Kirche dem Throne naht, um für die Dienste, die ein Anderer geleistet, den wohlverdienten Lohn einzuheimsen. Das Zwiegespräch zwischen Erzbischof und Kaiser ist die genialste und verwegenste Satire, die über die weltlichen Ansprüche der Kirche geschrieben worden ist. Jeder Satz ist ein bitteres Epi­gramm, und jede Sentenz hätte während der Zeit des Eulturkampses als wirk­sames Citat verwerthet werden können.

-I-

Fünfter Act. Nun also hat sich Faust seinem großen Werke hin­gegeben. Er hat des Meeres Rechte geschmälert und da, wo früher die zwecklose Kraft unbändiger Elemente" geboten,dicht gedrängt bewohnten Raum",Anger, Garten, Dorf und Wald" geschaffen.