^00
Paul Lindau in Berlin.
Dieses Finale veranschaulicht in großartigster Weise den Grundgedanken der Gesammtdichtung: die heiligende That.
In diesem Brennpunkte sammeln sich alle zerstreuten Strahlen der Dichtung. Das Rasten, Verweilen, die Befriedigung, das Faulbett — das ist Tod, das ist Hölle und Verdammniß. Das Streben, Mühen, Schaffen, das Weiterschreiten, die Unbefriedigung, die That —das ist ewiges Leben und Seligkeit. „Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich gethan",
hatte Faust in dem entscheidenden Augenblick der Wette mit dem Teufel gesagt.
Goethe steht also mit seiner Dichtung ganz auf dem Boden des Christenthums: „Alle Sünde und Lästerung wird dem Menschen vergeben, aber die
Lästerung wider den heiligen Geist wird dem Menschen nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt". (Matth. 12, 31 und 32). Der heilige Geist, dessen Schändung zu ewiger Verdammniß führt, ist eben Las Schaffen selbst. „Der Geist ist es, der da lebendig macht", sagt .Johannes (6, 63).
Wer diese Schaffenskraft nicht nützt, sie in Trägheit verkümmern läßt, wer ohne Streben, sich nicht bemüht, der ist dem Bösen verfallen.
So lange aber der Mensch strebt, ist sein Irren nach der milden Auffassung des Herrn selbst verzeihlich. Und durch das Streben und Wirken und heiße Bemühn, das den Inhalt von Faustens gesummtem Dasein ausmacht, von dem ersten Augenblicke, da wir ihm gegenübertreten, bis zu seinem letzten Athemzuge — durch die That erwirbt er sich die Erlösung, und seine .Fehltritte werden gesühnt.
„Am Anfang war die That", übersetzt Faust das geheimnißvolle Xo-sv;.
„Die That ist Alles, nichts der Ruhm!"
-erwidert er Mephisto, der ihn zu schlaffem Wohlleben verleiten will. „Thätig frei zu wohnen", „kühn-emsig" gegen die umringende Gefahr anzukämpfen — „Denn ich bin ein Mensch gewesen Und das heißt ein Kämpfer fein" —
das ist für ihn der Menschheit vornehmliche Ausgabe, und in der Lösung dieser Aufgabe hat sich das menschliche Leben zu erschöpfen.
„Ja! Diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß".
Ein solches, von unermüdlicher Thätigkeit ganz erfülltes Dasein ist niemals ein verlorenes. Und mag auch' gefehlt, gesrevelt und gesündigt sein, es wirkt segensreich nach auf die Jahrtausende, und seine Spuren werden nicht verweht. Das menschliche Fehlen wird durch die Kraft der Arbeit gesittlicht und erlöst, und selbst die Engel im Himmel verkünden dies trostreiche Evangelium der Arbeit:
„Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen".