Goethes ,,Faust" als Bühnenwerk.
VIII. Die Bühnenbearbeitung des zweiten Theils.
Durch diese eingehende Wiedergabe der Handlung des zweiten Theils des „Faust", wie sie auf der Buhne zu anschaulicher Darstellung gelangen würde, bin ich schon an die Frage: in welcher Weise sich nun der Bearbeiter zu dieser Dichtung zu stellen hat, herangetreten. Ich glaube, er kann dem Dichter Schritt für Schritt folgen. Er muß zwar oft, fast immer, als Knecht des Theaterpublicums kürzere Wege suchen, als der Dichter in seiner göttlichen Freiheit und Ungebundenheit einschlägt, er braucht aber keine wesentlichen Strecken zu überschlagen.
Diesem Princip ist auch Devrient im Ganzen gefolgt. Ich befinde mich daher mit seiner Art der Bearbeitung in der Hauptsache in besserem Einverständnis als mit den Vorschlägen von Dingelstedt und Frenzel, die aus dem zweiten Theil den zweiten Act, — der erstere nahezu ganz, der andere ganz — beseitigen wollen.
Die erste Verwandlung des zweiten Aufzugs, die Rückkehr in das Studirzimmer des Faust, wollen Beide streichen. Dingelstedt macht dazu allerdings bedauernde Bemerkungen über den dadurch nothwendig werdenden Wegfall der Baccalaureusscene. Nicht nur um dieses Juwels willen bestehen wir auf Aufrechthaltung des Scenencomplexes im Studirzimmer. Die Fäden, welche den zweiten Theil mit dein ersten verbinden, sind ohnehin spärlich und dünn genug! Und da sollten wir gerade auf die einzig sichtbare Verknüpfung Verzicht leisten? Sollten gerade diese Scene, die einzige, die in einem auch äußerlich wahrnehmbaren Zusammenhänge mit dem ersten Theil steht, streichen? Hier allein wird uns nä ooulos demonstrirt, daß wir denselben Faust, den wir im ersten Theil gesehen haben, auch im zweiten Theil wieder erblicken. Hier sehen wir das alte Studirzimmer unverändert, wie es unser Auge zu Beginn der Tragödie geschaut hat. Wir sehen dieselben Leute, die es früher betreten haben, diese freilich sehr verändert: den einstens bescheidenen Schüler als arroganten, aberwitzigen Baccalaureus, den Mondum grübelnden Famulus als nunmehr überstudirten vr. Wagner.
Dingelstedt nimmt Anstoß an dem allerdings etwas problematischen Homunculus, der in den Retorten Wagners auf wissenschaftlichem Wege gebildet wird. Man weiß, welche tiefsinnigen Deutungen dieses Menschen- artesact schon gefunden hat. Bei Wollheim wandelt sich dieser Homunculus zum jugendlichen Vertreter der Poesie und scheint in Euphorion aufzugehen. Das ist so superklug, daß ich mich damit nicht befassen mag. Bischer hat in seinem köstlichen „Faust, der Tragödie dritter Theil", diese Homunculus- deutereien in witzigster Weise abgethan. Er läßt Faust bevor er zur Seligkeit auffteigt, noch einige Prüfungen bestehen, und eine der grausamsten ist, daß er den seligen Knaben beibringen soll, was der zweite Theil des „Faust", speciell der Homunculus zu bedeuten hat. Faust leistet in ebenso kühnen wie unklaren Unterlegungen das Denkbare und sagt schließlich stockend:
„Es ist, wenn rnaws besieht bei Licht . . ."
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