Heft 
(1878) 05
Seite
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voller aufrichtiger Begeisterung seinen Dank und seine Huldi­gung darbriugen wollte, das Volk und dessen Führer in keiner Weise befriedigt waren, und daß deshalb die eigentlich gefähr­liche Bewegung erst ihren Anfang nahm, als man die Ruhe bereits wieder hergestellt glaubte.

Es war dies die Nachahmung dessen, was in Paris ge­schehen war, wo manReform" begehrte undRepublik" em­pfing, nur mit dem Unterschiede, daß sich in Frankreich die Zersetzung der großen Masse, welche man bis dahin unterschieds­los unter dem Namen des dritten Standes zusammengefaßt, bereits vollzogen hatte, undBourgeoisie" undarbeitende Klasse" sich schon seit längerer Zeit schroff und feindlich gegen­überstanden. Dadurch war in Paris eine selbständige Aktion der arbeitenden Klasse ermöglicht, während in Berlin diese Scheidung sich erst mit der Gründung des deutschen Reiches und der Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts voll­zogen hat, nachdem bis dahin die unteren Volksklassen sich noch unter der Leitung und Vormundschaft des besitzenden Bürger­thums befanden.

Ebenso wird es von diesem Gesichtspunkte aus auch verständ­lich, weshalb in Berlin wie in Wien die Haltung der Stu­dentenschaft so wesentlich in das Geivicht fiel, indem diese als das Bindeglied zwischen der gebildeten Bevölkerung und den unteren Volksklassen snngirte und, indem sie letzteren die Hand­lungsfähigkeit gewährte, dieselben doch zugleich an die Postulate und Bestrebungen des Bürgerthums fesselte.

Es ist dies eine Betrachtungsweise, die vielleicht manchen um so mehr zum Nachdenken veranlaßt, als die kürzlich ge­legentlich des Dnhringschen Falles zu Tage getretene Verbin­dung eines Thcils der Studentenschaft mit der sozialdemokra­tischen Partei wenigstens als ein Symptom zu deuten sein dürste, daß namentlich derjenige Theil der studirendcn Jugend, welcher der polytechnischen Schule in Paris entspricht, seine Ziiknnftsstellling bereits zu suchen beginnt.

Nicht ohne Grund kann ich deshalb auch meinerseits von einemMißverständnisse" sprechen und zwar von einem doppel­ten, indem einmal die Regierenden die beiden Faktoren der Bewegung mit einander vermischten und dadurch zu einer un­richtigen Auffassung der schließlichen Explosion gelangten und andererseits, indem die ursprünglichen Faiseurs und Leiter über­rascht und verwirrt wurden, hinter sich Tritte und Stimmen zu vernehmen, welche sich anschickten, den zweiten Akt des Dramas in Seene zu setzen.

Nur wenn man dies festhält, wird der weitere Verlauf einigermaßen verständlich.

Es ist bekannt, daß der Beschluß, das Militär zurückzu- ziehcn, mancherlei Phasen durchlief. Zuerst war nur davon die Rede, das Militär nichtaggressiv" auftreten zu lassen, voraus­gesetzt, daß dasselbe nicht von der anderen Seite gereizt, be­leidigt oder angegriffen würde. Später willigte man unter der Voraussetzung, daß die städtischen Behörden in diesem Falle die Garantie für die Ruhe und Sicherheit übernähmen, darin ein, die Truppen in demselben Maße zurückzuziehen, als die Auf­ständischen ihrerseits die Waffen niederlegten und die Barrikaden himvegräumten. Dieses Zugeständniß wurde demnächst dahin erweitert, daß man um des angeblichen guten Eindrucks willen sich dazu verstand, mit dem Zurückziehen der Truppen den Anfang zu machen, bis man schließlich dahin gelangte, das Zu- > rückziehen der Truppen überhaupt zu beschließen mit dem all- ! einigen Vorbehalte, das königliche Schloß, das Zeughaus, die

§ Bank, die Seehandlung und dergleichen, wie es heißt, mit

sstarker Hand militärisch besetzt zu halten".

! Das schließlichc Resultat dieser verschiedenen Befehle ist ^ bekannt, ebenso daß die Verantwortlichkeit dafür von den verschie­densten Personen gegen einander hin- und hergeschoben worden yt. Soweit meine Kenntniß reicht, bleibt die Verantwortung dafür dem Grafen Arniin, da das bisherige Ministerium und ^ speziell der Minister von Bodelschwingh bereits am 18 . sein ! Amt in die Hände des Königs zurückgegeben und der Gras Arnim

. »lit der Bildung des neuen Ministeriums betraut war. Gras

Arnim hat überdies eingeräumt, jene verhängnißvolle Absicht vernommen zu haben, bevor sie ausgeführt war, und so wenig

anzunehmen ist, daß Herr von Bodelschwingh seinem Amts­nachfolger eine solche Erbschaft wider dessen Wissen und Willen hinterlassen haben sollte, ebenso muß daran sestgehalten werden, daß der Graf Arnim die Pflicht hatte, einem solchen Beschlüsse zu widersprechen und dessen Ausführung zu hindern, als der­selbe sich seines Einverständnisses nicht erfreute.

Einen derartigen folgenreichen Beschluß, von dessen emi­nenter Gefahr mau angeblich durchdrungen ist, stillschweigend in demselben Augenblicke passiren zu lassen, wo man im Be­griff steht, mit der Präsidentschaft des neuen Ministeriums die Verantwortlichkeit für dessen Folgen zu übernehmen, ist schwer zu glauben und noch schwerer zu rechtfertigen.

Welche Personen sonst noch auf jenen Beschluß entscheidend eingewirkt, wage ich kaum positiv zu beantworten. Genannt wurden damals neben einer Anzahl kleinerer Größen: den Herren Braß, Wöniger, Rellstab, Gutzkow, Naunyn und den verschiedenen Deputationsmitgliedern, namentlich Alexander von Humboldt und der Major von Vincke-Olbendorf. Letzterem lege ich meinerseits nicht die Bedeutung bei, einen maßgebenden Ein­fluß ausgeübt zu haben; dagegen circulirte von dem ersteren damals die eigenthümliche Erzählung, daß er dem Könige unter Bezugnahme auf Cäsar die Nothwendigkeit dargelegt habe, nunmehr auch seinerseits über den Rubicon zu gehen, daß aber diese Vorhaltung ohne besondere Wirkung geblieben, weil ein bei dem Könige sehr angesehener General auf die Frage des ersteren nach seiner Meinung die Antwort gegeben:Majestät, ich kenne den Kerl, den Cäsar, nicht, ich weiß auch nicht, was Rubicon ist; ich weiß nur, daß, wenn Cäsar ein so kluger Mann ge­wesen ist, er ganz gewiß das nicht gethan hätte, was uns eben angerathen wird."

Wie nicht anders zu erwarten stand, schlossen sich unmittel­bar an den Abzug des Militärs die eigentlich gefahrdrohenden und empörenden Scenen des ganzen Dramas, Scenen, die un­zweifelhaft noch einen ernsteren Charakter angenommen hätten, wenn es nicht den Aufständischen selbst an einem Stichworte für diese uuerwartete Eventualität gefehlt hätte. Das Schloß mit allem, was drinnen war, befand sich eine Zeit lang un­bestreitbar in dem Besitze desVolkes", und man weiß aus der Erfahrung späterer Zeit, was selbst die wohlgesinntestenBürger­garden" organisirten Volksmassen gegenüber bedeuten.

Wenn es nichtsdestoweniger nicht zu blutigen Excessen kam und der Sturm sich vielmehr in einzelnen Akten der Roheit erschöpfte, so ist der Grund hierfür wesentlich darin zu suchen, daß das Bürgerthum selbst das dringende Bedürfniß des Ab- wiegelns empfand, uud daß die hinterstehenden Massen noch nicht so weit geschult waren, um sogleich ax tsoaxora die Fort­setzung liefern zu können.

Aus eine nähere Roheitsstatistik jener Tage cinzugehen, scheint mir nicht angezeigt. Das Herumtragen der Leichen bis in den Schloßhof und was damit zusammenhängt; die Insulten einzelner Militärpersonen; die Excesse gegen mißliebige Bürger sind in der That nicht viel mehr als, wie sie später bezeichnet wurden, das Schaumspritzen der Revolution, freilich ein recht schmutziges.

III.

Es war beides, die Stärke und die Schwäche des vor­märzlichen preußischen Königthums, alles in allem zu sein, und es darf deshalb nicht überraschen, wenn die Erschütterung des Königthnms sich sofort durch alle Glieder und Gelenke des preu­ßischen Staates fühlbar machte.*)

Bei dieser Gelegenheit mag noch einmal darauf hingewiesen werden, daß der verewigte König für seine Gedanken und Pläne so wenig Verständniß und geeignete ausführende Hände fand, daß er selbst einem Vertrauten (dem General von Gerlach) gegenüber seine Verwunderung darüber aussprach, daß er so wenig durchsetzen könne.Das ist in Rußland ganz anders," sagte er,mein Schwager Nikolaus braucht nur ein Wort zu sagen, so geschieht es."

Z Der verewigte Präsident von Gerlach pflegte dies in seiner eigenthünilichen Weise dahin anszudrücken, daß er sagte:Preußen kann nur durch seinen König ruinirt werden, und dieser König mnß noch dazu ein geistreicher sein."