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sonderes Augenmerk auf die Frachtzüge gerichtet, um durch die Verhinderung des Gütertransports die Kapitalisten und die großen Eisenbahnkorporationen zu schädigen, wobei die schlechten Elemente des Aufruhrs sich die Gelegenheit zu Engrosplünderungen nicht entgehen ließen.
In der Stadt Pittsbnrg kam es zu einem heftigen Kampfe zwischen den Strikers und den ans Philadelphia gegen dieselben zu Hilfe gerufenen Milizen. Hier sowohl wie in Baltimore begann die Bürgerwehr sofort nach den ersten sie treffenden Steinwürfen auf die Ausrührer zu feuern und richtete unter den sie zuerst fröhlich begrüßenden Volkshausen ein ganz unnöthiges Blutbad an, wobei sogar Frauen und Kinder ums Leben kamen; ein Verfahren, das durchaus ungerechtfertigt erscheint und die Wuth der Aufständischen zur Raserei entflammte. Die Stadt Pittsburg befand sich am 21. und 22. Juli vollständig in der Gewalt der Aufrührer, denen sich tausende von Fabrikarbeitern und Minern aus den Kohlenbergwerkdistrikten angeschlossen hatten. Das Uniondepot, der Hauptbahnhof in Pittsbnrg, ging in Flammen auf. Es wurden dort 70 Lokomotiven, 250 Waggons und Gebäulichkeiten und Waarengüter im Betrage von fünf Millionen Dollars zerstört. Die Phila- delphiaer Milizen mußten eine förmliche Belagerung im steinernen „ronucl llouss" (Lokomotivengebäude) aushalten. Der Pöbel schob ganze Reihen von in Brand gesteckten Waggons heran, um die verhaßten Buntröcke zu verbrennen, und diese konnten von Glück sagen, daß es ihnen gelang, während der Nacht zu entkommen. Schließlich wurde der Aufruhr durch ein schnell organisirtes Vigilanzkommittee unterdrückt und die Ruhe wieder hergestellt.
Während der folgenden Tage verbreitete sich der große Strike durch das Innere der Staaten Pennsylvanien und Ohio und weiter westwärts bis nach Chicago und St. Louis. Sowohl die Kohlenminendistrikte wie zahlreiche Fabriken wurden vom Strike betroffen, der sich auf die verschiedensten Schichten der Arbeitergesellschast erstreckte. In Detroit strikten sogar die Zeitungsjungen, indem sie verlangten, daß die Tagesblätter ihnen Cent billiger als sonst geschehen war, pro Nummer verabreicht werden sollteu — eine Bewegung von Juugamerika, die ein schmähliches Ende nahm, indem die Eigenthümer der Zeitungen ganz einfach den Straßenverkauf ihrer Blätter eiu- stellten, bis sich die Jungen der alten Ordnung wieder anbe- quemten.
Das energische Einschreiten der wenn auch numerisch sehr fchwachen.Bundesmacht und eine Proklamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten, worin dieser den Aufrührern unter Androhung der strengsten Strafen gebot, von ihrem gesetzwidrigen Verfahren sofort abzulassen, verfehlte nicht, die Strikers zu entmuthigen, und nach und nach kam wieder Ordnung in das Chaos. Die Bundessoldaten stellten überall, wo sie sich blicken ließen, ohne besondere Mühe die Ordnung wieder her, und selbst ganz kleinen Abtheilungeu derselben wurde nur selten der Gehorsam verweigert, wogegen die Strikers den Milizen und der Polizei stets „die Hölle heiß machten". Nur die Furcht vor der Bundesmacht unterdrückte den Aufruhr schnell. Die Einzelstaaten konnten diese fast nur durch die sich als Schutzwehr orgauisirenden Bürger unterstützen, denn vor den Milizen hatten .die Aufrührer wenig oder gar keinen Respekt. Es wiederholte sich hier dasselbe seltsame Schauspiel, wie es sich in Columbia, im Staate Südkarolina, zur Zeit des letzten Wahlkampfes zwischen den Gouverneurskandidaten Hampton und Chamberlain gezeigt hatte, als ein paar schwache Kompagnien von Bundessoldaten das Staatshaus gegen eine nach Zehntausenden zählende, bis an die Zähne bewaffnete wüthende Bolksmasse besetzt hielten und es niemand wagte, sie anzugreifen, obgleich man sie sozusagen in der Hand hätte zerdrücken können. Die Erkenntniß, daß das ganze Volk der Vereinigten Staaten hinter jenen Korporalswachen stand, gab diesen damals wie jetzt wieder die moralische Kraft einer kriegsbereiten Armee.
Seltsamer Weise blieben die Städte am atlantischen Küstengestade, mit Ausnahme von Baltimore, von Arbeiterunruhen verschont. Bei dem massenweisen Vorhandensein des verbreche
rischen Elementes in jenen großen Handelsplätzen würde ein Aufruhr daselbst die unheilvollsten Folgen gehabt haben. In Chicago, wo sich namentlich die Fabrikarbeiter in Menge am Strike betheiligt hatten, welche Gelegenheit vom Pöbel zu Straßenkrawallen benutzt wurde, kam es noch am 26. Juli zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen dem Gesindel und den Vereinigten Staaten-Truppeu, wogegen es den Stadtbehörden in St. Louis gelang, die drohende Arbeiterbewegung daselbst durch das energische Auftreten einer schnell organisirten Bürgerwehr im Keime zu ersticken. Damit hatte sich der große Strike im Osten der Union ausgetobt.
Die Union- und Centralpacificeisenbahnen, welche bekanntlich die Verbindung zwischen dem Osten der Vereinigten Staaten und Calisornien Herstellen, entgingen dem zerstörenden Einflüsse des „Strike" nur dadurch, daß ihre Leiter kluger Weise gleich zu Anfang der Arbeiterbewegung die auch hier bereits angekündigte Lohnherabsetzung von zehn Prozent wieder rückgängig machten. Nur die Stadt San Franzisko wurde an dieser Seite des Kontinentes durch den großen Strike indirekt berührt. Doch war der Verlauf der Unruhen hier durchaus nicht der Art, wie ihn der Telegraph zuerst in die Welt hinausposaunt hat, und er konnte fast mit dem bekannten Ausspruch „Viel Lärmen um Nichts!" bezeichnet werden.
Nachdem in mehreren Massenversammlungen von den hiesigen weißen Arbeitern Beschlüsse gefaßt worden waren, worin man den Brüdern im Osten der Union Sympathie mit ihren Leiden kund gab und den Strikers Erfolg wünschte, glaubten die berüchtigten zahlreichen „Hoodlums" (Straßengesindel) der großen Handelsmetropole am Pacific, daß bei der in San Franzisko herrschenden Aufregung die Zeit gekommen sei, einen großartigen Krawall mit Raub und Brand zu veranstalten. Banden von halbausgewachsenen Jungen und verworfenem weißen Gesindel durchzogen mit Lärm und Geschrei nächtlicher Weile die Stadt und begannen zunächst einen Kreuzzug gegen die gänzlich unschuldigen Chinesen. Bei dem nichts weniger als freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den hiesigen weißen Arbeitern und den Mongolen, welche jenen bekanntlich den Verdienst mehr und mehr schmälern und sie aus vielen Branchen bereits ganz verdrängt haben, dachten die Herren Hoodlums, daß die weißen Arbeiter sich ihnen an- schließen würden und bald alles drunter und drüber gehen müsse, bei welcher Gelegenheit sie dann nach Herzenslust rauben und plündern könnten. Darin täuschten sie sich aber, wie die Folge zeigte, ganz gewaltig.
Zunächst begannen die Hoodlums damit, eine erkleckliche Anzahl von chinesischen Waschhäusern zu demoliren. Sie erstürmten die Waschhäuser, verfolgten einzelne Chinesen wie gehetztes Wild und drohten damit, demnächst ein allgemeines Blutbad im Chinesenquartier in Scene setzen zu wollen. Dabei folgten Brandstiftungen in verschiedenen Stadttheilen rasch aufeinander, und es zirkulirten die beängstigendsten Gerüchte über einen nahe bevorstehenden Massenaufruhr. Die Zopfträger hatten sich in ihrem Stadtviertel förmlich verschanzt, hatten auf die Dächer und in die oberen Stockwerke ihrer Wohnungen Hausen von Feldsteinen und Ziegeln hinaufgeschleppt, die als Wurfgeschosse benutzt werden sollten, und die Thüren und Treppen verrammelt. Jeder hatte sich außerdem mit Messern, Schrot- sliuten, Pistolen, langen Dolchen, Eiseustangen re. bewaffnet, um den Hoodlums einen warmen Empfang zu bereiten. Nachts herrschte Dunkelheit und Stille in den sonst von laut schnatternden Tartaren förmlich wimmelnden Gassen und Höfen. Selbst die Theater standen leer, da es hieß, daß die Hoodlums Vorbereitungen getroffen hätten, eins derselben während einer Vorstellung mit Torpedos in die Luft zu sprengen.
Das weiße Gesindel, dem die Vertheidigungsmaßregeln der Chinesen kein Geheimniß geblieben waren, hütete sich aber wohlweislich, das engere Chinesenquartier anzugreifen, machte aber dagegen andere entlegene Stadttheile um so unsicherer. Die Brandstiftungen mehrten sich derart, daß die Feuerwehr bei der bedeutenden Ausdehnung der Stadt gar nicht mehr zu Athem kommen konnte, und die Dampfspritzen bald hierhin, bald dorthin jagten. Als sich das Gerücht verbreitete, daß die Docks