Heft 
(1878) 05
Seite
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Sache doch zu sein! Die Kastanie im Primanergarten rauscht so un­heimlich, die Schritte im Krenzgang klingen so geisterhaft, die Gestalten der Eingeweihten huschen so lautlos und gespenstisch vorbei in das Singauditorinm der Novize lehnt sich unwillkürlich einen festen Halt suchend an die Wand, da ertönt plötzlich das Kommando:Sprecht nicht mehr!" und um die Ecke biegt eine groteske Gestalt im weiten Talar, mit wallendem Barte und riesiger Brille.Das ist der Musikdirektor," ruft einer dein andern ängstlich zn, und ihn: zur Seite mit der be­rühmten Laterne der Famulus, ein märchenhaftes Männlein im Schlnf- rock mit wackelndem Kopfe. Stumm schreiten die beiden vorbei, hinter ihnen nur wird ein kaum verhaltnes Kichern hörbar. Das kommt von den Eingeweihte!:, denn die Novizen harren immer noch angstvoll der Dinge, welche kommen sollen. Da wird die Thüre vom Singauditorinm weit geöffnet und der Reihe nach werden die Aermsten vor den strengen Herrn Musikdirektor gerufen.

Müller, lachen Sie nicht!"

Famulus, sagen Sie mal dem pp. Schulze, daß er für eine har »ionischere Ausbildung seiner Gesichtsmnskeln Sorge trügt!"

Hoffmann, wenn Sie reden wollen, so halten Sie doch den Mund!"

lind nun folgt eine wohl einstndirte Rede über den Nutzen nnd den Werth der Musik! Die neu Reeipirten wissen gar nicht, was sie zn den Ansprüchen sagen sollen, die man auf der Landesschnle an den Geichrs- und Stimmapparat stellt. Manch' einer hat wohl schon von Richard Wagner munkeln hören, dies scheint noch über Baireuther An­sprüche hinanszngehen und im Stillen gelobt man sich, künftig besser ans diese edelsten Organe achten zn wollen. Damit ist es aber nicht abgethan, der Famnlns ruft jetzt den pp. Müller namentlich auf. Müller tritt vor.

Müller! Singen Sie ein Stück!"

Ich habe ja gar keine Stimme, Herr Musikdirektor!"

Desto besser! Man wird Ihnen eine Stimme anerziehen!"

Und nun singt der unglückselige Müller mit herzzerreißender Stimme ein grausiges Lied, der Musikdirektor schüttelt den lockigen Kopf nnd spricht:

Müller macht 2:n>4 Schwingungen in der Sekunde, ist demnach dnrchgefallen nnd erhält die Censnr Nr. 27. Müller entfernen Sie sich schleunigst!"

Und nun empfängt den blonden Müller im Krenzgange ein home­risches Gelächter, nnd wie er sich noch verwundert nmschaut, wird er schon ergriffen und eine kleine Weile als Fangeball benutzt, bis sich wiederum die Thür öffnet nnd ein zweites Opfer den ausgelassenen Jungen in die Hände fällt.

So wird der Novize in Pforte empfangen; wir brauchen nicht hinznznfügen, daß Akte der Rohheit hierbei nicht Vorkommen nnd daß die Person des Musikdirektors von einemneuen" Primaner ge­spielt wird.

Ganz ähnlich verläuft an einem der nächsten Tage die Impfung Die Rolle dcZ Arztes wird in ähnlicher Weise, wie die des Musik­direktors gespielt. Der Arzt hält den Novizen zunächst die Wichtig­keit des Jmpsnngsaktes vor. Das Impfen schützt sowohl vor dem Ochsficber", wie vor demt'c-llri» beides Krankheiten,

denen der Alumne nur allzu oft rettungslos verfällt, cs schützt vor Niedergeschlagenheit wie vor Trübsinn, und damit der Geimpfte das Alles auch schwarz ans weiß besitzt, so wird ihm nach Vollziehung des Aktes ein Impfschein ansgestellt. Ein solcher Schein liegt uns vor, sein Inhalt ist folgender:

Daß der pp. Müller, der bisher noch so dumm und kindisch war, wie ein Ei, oder wie ein Esel, der die besten Disteln stehen läßt, nunmehr zu gewaltiger Einsicht und Klugheit gelangt, dadurch, daß er sich willig erklärte, unserer Hcilknnst zn vertrauen, bezeugen Merknrio Ahenobarbo, Michelo Angelina,

Qr. nrsci. Famulus.

Gegeben in der historischen Luft von Pfvrta 7./4. 18 . .

Damit sind die Empfangsfeierlichkeiten abgethan nnd der Reeipirtc sit ein gemachter Mann. Seltener wird jetzt, wie man uns erzählt hat, ein Akt vollzogen, der den Novizen in das klassische Römerthum emweihen soll. Eine Stelle am Knabenberge, noch innerhalb des Schulgartens, heißt nämlich der tarpejische Felsen. Von diesem Felsen wurden die Novizen gestürzt, und das nannte maneinen tarpejen". Damit ging zugleich etwas von dem Geiste der alten Römer in den getarpejten" über.

Rasch vergehen die Wochen beim Wechsel der Lektionen und ehe der Schüler daran denkt, steht der Semesterschluß vor der Thür und mit ihm die halbjährliche Prüfung. Dieses halbjährliche Klassenexamen stt für Pforta nicht blos eine leere Formalität, wie an so vielen andern Lehranstalten, sondern eine wirklichePrüfung". Das bildet dann natürlich allemal einen Abschnitt im Leben des Alumnen und wie be- gmflich schließen sich hieran ganz cigenthümliche Sitten und Gebräuche, deren denn auch hier Erwähnung geschehen soll.

.zunächst der Examenmann! Examenmann? Ja, du armer serl bist freilich seit einigen Jahren todt, aber wer weiß, ob dir nicht noch "ne Auferstehung beschieden ist. Es war eine schöne Sache um den Lxameiimau» und wenn es nur der Kleider wegen wäre, welchem

zu Liebe sich die Almericher Plebs blutige Köpfe schlug. Doch zur Sache!

Wenn die schriftlichen Arbeiten beendet waren, bewegte sich in der Abendstunde ein langer feierlicher Zug aus dem alten Schulhause nach demWassertümpel", den die Saale fast in der Mitte von Pforta bildet.

Ueber die Fluten wirft ein mächtiger Lindenbauin bei Mond­scheinlicht seine fabelhaften Schatten und da ist es, wo sich jetzt eine Gestalt im schwarzen hohen Hut, im blauen Frack mit blanken Knöpfen und starker Hornbrille aus der tüchtigen Nase erhebt. Die Kleinen starren entsetzt den Mann aus der Entfernung an, bis sich dann ein Wagehals heranmacht nnd eilends die Kunde verbreitet:er ist nur aus Stroh!" Lautes Jauchzen macht sich nun hörbar, bis ein Pri­maner hervortritt, eine donnernde Rede hält und am Schluß den bissigen argen Examenmann dem wogenden Elemente übergiebt. Ein Jnbelschrei begleitet den Fall des Verhaßten nnd verhöhnt nnd ver­spottet schwimmt der Unselige auf den Fluten zur Pforte hinaus, wo dann die Almericher Jugend kampfgerüstet steht, die Trophäen zn er­beuten.

Das war der Examenmann! (ZUosont iu paoo.

In diesen Examentagen erhalten auch die neuen Oberseknndaner dasRecht", Stöcke zn führen nnd das noch höher geschützte, ein Lo ch im Rockärmel zn tragen. Uisum Umoatis awioi! es ist wirklich so, und ein Pförtner Oberseknndaner würde sehr böse werden, wenn man ihm sein gutesRecht" streitig machen wollte.

Ist der Eintritt des Alumnus in die Landesschule von abenteuer­lichen Gebrauchen begleitet, so nicht minder sein Austritt. Nur zn bald nahen sich dem Primaner jene Tage, an denen das Examengespenst am Kopfende seines Bettes steht, ihm schauerliche Worte in das ängst­liche Ohr raunend. Da lauert für den Schüler Heimtücke nnd Ver- rath auf jedem Schritt und Tritt, da heftet sich das Fatum drohend an seine Sohlen nnd niemand ist wohl mehr Fatalist, als ein Abi­turient. Für ihn scheint Horaz das geflügelte Wort geschrieben zn haben: post sgoitsm sollet atro, cmro nur für ihn! Das Examen rückt näher nnd näher, am Montag beginnen die Klausuren. Der Alumnus hat gearbeitet so viel als er konnte (so denkt jeder Pri­maner) und wenn ihm der entscheidende Schritt nicht gelingt, wenn erins Bodenlose fällt", so ist daran nur das mangelndeSchwein" schuld.

Wenn daher am Sonntag vor dem Examen die Glocken zur Nach­mittagskirche rufen, deren Besuch nicht obligatorisch ist, so gehen die Abitmicnten nach der Reihe ihrer Plätze in die Kirche, setzen sich alle auf eine Bank, singen das Lied aus vereinten Kräften, hören andächtig aus die kurze Predigt, fahnden sorgfältig auf jedes ominöse Wort nnd verlassen erhoben und gestärkt das Gotteshaus. Wehe dem, der da vermeint, dieser alt hergebrachten Sitte ungestraft spotten zn dürfen; man weiß zu erzählen, daß allemal die, welche nicht in der Kirche waren, durch das Examen gefallen sind!

Nach der Kirche unternehmen die Leidensgefährten einen gemein­schaftlichen Spaziergang nach Nlmerich. Stumm und schweigsam zieht die Schar ihre Straße; wo sonst fröhliche Lieder über die Wiese und durch den Wald erklangen, da hebt sich heute nur ein tiefer ge­meinsamer Seufzer; wo sonst Schülerstreiche und Humoristika erzählt wurden, da fragt man sich heute mathematische Formeln nnd geschicht­liche Data ab nnd je näher man dem Zielpunkte kommt, desto schweig­samer wird die Schar. Sogar die heimliche Cigarre wird gelöscht, weggeworfen oder von einem Vorsichtigen hinter einen Stein zur dem- uächstigen Benutzung gelegt. Bei Almerich führt eine Brücke über die Saale, das ist die Schweinebrücke! Sie spielt die Hauptrolle bei deni Examen, sie gilt mehr als der gütigste Schnlrath, als der mildeste Examinator. Von ihr holt man sich das fabelhafte Schwein", und ohne dieses Schwein" kann man kein Examen machen! So hat denn die Almericher Schwcinebrücke ihren besonder» Kultus, auf den sie stolz sein darf.

Stumm und schweigend, ohne auch nur eine Miene zn verziehen, setzen sich die jungen Fatalisten auf die Brücke; unbekümmert um Wagen oder Fußgänger, die flüchtigen Fußes über die Glückbringende schreiten, bleiben sie aus dem Geländer fünf Minuten lang sitzen. Da wird kein Wort gewechselt, da wird nicht einmal ein Blick getauscht, es sind das fünf Minuten voll seliger Bangigkeit und banger Selig­keit, wo die Freude und die Qual des Examens in ihrer Quintessenz durchkostet werden. Auf die Sekunde stehen sie gravitätisch ans, immer­noch stumm und still gehen sie ihres Weges fürbaß, bis die Brücke nicht mehr zn sehen. Ein einziges unvorsichtiges Wort vermag jedes Schwein" zu vertreiben und wer Sirachs Gebot:Lieben Kinder, lernt das Maul halten" sich nicht genau gemerkt hat, der ist reif für den tiefen verderblichen Fall.

Und das Examen geht vorüber, die Hoffnung des Gelingens hat die Gefeiten nicht getäuscht. Da zieht denn der Jubel von Stube zn Stube, nnd das fröhliche Lärmen hallt im Kreuzgang wider. Im Primanergarten aber sammeln sich unter der alten Kastanie die Glück­lichen und schütteln sich die Hände und die Freunde tragen eifrig Mate­rial herbei zu einen: kleinen Scheiterhaufen. Undank ist der Welt Lohn und niemand ist undankbarer, als ein Schüler kurz nach be­standenen: Examen! Da wird alles, was die fleißige Feder in langen Jahren zusammengeschrieben hat, auf den Scheiterhaufen geworfen, nnd bald fliegt dann die todte Asche in der Luft herum, hier eii: halbes Blatt voll von Sinns- und Cosinus, dort eine Zeile römischer