Ein deutsches Amiticudlntt mit Illustrationen.
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XIV. Auszctzklicu klm 24. Ulttikmbcr 1877. Der Jahrgang läuft »NM Glüllbcr 1877 bis dahin 1878. 1878. ^7 8.
Unser Graf.
Eine Erzählung von Theodor Hermann Pantenius.
lFortst-tzung.)
Nachdruck verbotkn. Ges. v. IN/VN 70 .
Aliee hatte die ganze Nacht hindurch darüber nachgedacht, was sie zn thnn habe. Sollte sie ihre Stellung sofort aufgeben? Das hieß sich trennen von den ihr schon lieb gewordenen Kindern, das hieß auf die Möglichkeit verzichten, ihren Vater unterstützen zu können. Auf der andern Seite war ihr durch den Bruder der Hausfrau und, wie sie fest glaubte, indirekt durch diese selbst eine unerhörte Beleidigung zugefügt worden. Handelte sie nicht auch im Sinne ihres Vaters, ihres so stolzen Vaters, wenn sie — eine Heinersdorf — sich solche Dinge nicht gefallen ließ? Und wer waren denn diese Camp- bells, die so gegen eine Heinersdorf zu verfahren wagten? Hergelaufene Schotten, die seit kaum zweihundert Jahren im Lande waren.
Ach, hätte sie nur den Grafen um Rath fragen können! Und doch, es wäre unnütz gewesen, ihn zn fragen, er konnte ja nur sagen: „Wirf den Leuten den Mammon, um den sie Dich gekauft zu haben wähnen, vor die Füße und geh davon!"
Alice nahm die Photographie ihres Vaters von der Wand nnd betrachtete sie traurig, während heiße Thränen über ihre Wangen herabliefen. Für sie war dieses magere geierartige Gesicht mit dem hungrigen Ausdruck das Antlitz des liebsten Menschen, den sie — wie sie glaubte — in der Welt hatte. „Mein armes Väterchen," schluchzte sie, „so ist es nichts mit den zweihundert Rubeln, so muß ich wieder zurück zu Dir und Dein spärliches Mahl noch verkürzen. Und doch — ich handele in Deinem Sinn, ich handele, wie eine Heinersdorf einzig und allein handeln darf."
Als der Jubel unten allmählich verrauscht war und dann die Strahlen der aufgehenden Sonne die Gipfel der Bäume mit rothem Licht übergossen, wurde es still in ihrer Seele. Alice trat an das Fenster und blickte hinüber nach dem Strom, der klar und ungetrübt dahinfloß. So klar nnd ungetrübt war auch das Wappen der Heinersdorf. Alice machte sich daran, ihre bescheidene Habe zu packen.
XIV. Jahrgang 8. d
Die Gräfin saß allein beim Kaffee, als Alice eintrat. Sie blickte verwundert auf die verweinten Augen und das verstörte Aussehen des jungen Mädchens, schwieg aber und sah sie erwartungsvoll an. Alice trat dicht an sie heran, ergriff mit der Rechten die hohe Lehne eines Stuhles, wie um sich daran zu halten, und sagte mit einer Stimme, die ihr selbst wie die eines anderen klang, die aber laut und deutlich war:
„Ich komme zu Ihnen, gnädige Frau, um mich von Ihnen zu verabschieden. Ich bin gestern Abend von Ihrem Herrn Bruder in einer Weise beleidigt worden, die es mir unmöglich macht, länger in Ihrem Hause zu verweilen. Ich darf Sie wohl bitten, mich nach Campbellshof zu schicken."
Die Gräfin blickte sie in sprachlosem Erstaunen an. „Von meinem Bruder sind Sie beleidigt worden? Von meinem Bruder Paul?"
Alice neigte bejahend das Haupt.
„Aber wodurch denn um alles in der Welt?"
Alice erzählte kurz den Hergang.
Frau Ina erhob sich rasch nnd reichte Alice die Hand hin. „Fräulein Heinersdorf," sagte sie in einem Tone, der keinen Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit zuließ, „ich weiß noch nicht, wodurch dieses Mißverständniß entstanden ist, aber ich kann Ihnen ans das bestimmteste versichern, daß ein solches vorliegt. Mein Bruder ist völlig unfähig, eine Dame zu beleidigen, aber selbst ein schlechterer Mann würde es niemals" wagen, in unserem Hause einer solchen zn nahe zu treten."
Alice war überwunden, sie hatte der Gräfin doch unrecht gethan. „Entschuldigen Sie," stotterte sie.
„Ich habe nichts zu entschuldigen, mein Fräulein. Im Gegentheil, ich danke Ihnen dafür, daß Sie so offen zu mir kamen. Mein Bruder schläft noch, aber ich werde ihn sogleich wecken lassen, und er wird das Mißverständniß sofort aufklären."
Frau Ina sprach, wie sie dachte. Alle eifersüchtigen Re-