Heft 
(1878) 08
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gungen waren in diesem Augenblick vor dem Wunsche, ihren Bruder von einem so häßlichen Verdachte zu reinigen, zurück­getreten. Sie schellte und befahl dem Diener, den Baron zu wecken und ihn zu bitten, sich für einen Augenblick herunter zu bemühen.

Alice wußte nicht, was sie thuu sollte. So peinlich ihr eine solche Aussprache auch sein mußte so fühlte sie doch, daß sie ihr nicht aus dem Wege gehen konnte.

Frau Ina kreuzte die Arme über die Brust und ging auf­geregt im Zimmer auf und nieder.Nein, mein Fräulein," sagte sie, indem sie wieder auf Alice zutrat und ihre Hand ergriff,bleiben Sie bei uns, vor solchen Erlebnissen sind Sie bei uns geschützt."

Im Nebenzimmer wurde der rasche Tritt des Grafen laut, und gleich darauf trat er in das Zimmer, blieb aber an der Thüre stehen und blickte verwundert auf die Frauen. Bei seinem Anblick regten sich in der Gräfin wieder die alten Ge­fühle, aber sie hielt sie nieder.Lieber Georg," sagte sie,hilf auch Du mir ein Mißverständniß aufklären. Fräulein Heiners­dorf glaubt, daß Paul sie erst zur Franyaise engagirt und dann absichtlich doch mit der Gräfin Märzenroth getanzt habe. Fräu­lein Heinersdorf will sogar in Folge dessen unser Haus ver­lassen. Sage auch Du dem Fräulein, daß hier ein Mißverständ­niß vorliegen müsse."

Ohne Zweifel, mein Fräulein," erwiderte der Graf,und ich bin überzeugt, daß mein Schwager, sobald er Kenntniß von demselben erhält, sich beeilen wird, es, so viel an ihm liegt, wieder gut zu machen."

Der Graf wandte sich um und verließ das Zimmer.Ich habe Paul schon bitten lassen, zu uns zu kommen," rief ihm die Gräfin nach.

Danke!" erwiderteer, ging aber weiter. Er traute seinem Schwager, den er weder liebte noch besonders hochstellte, ein solches Stücklein wohl zu, aber er wollte um Alicens und seiner Frau willen jede Scene vermeiden.

Als er in das Zimmer des Barons trat, war dieser eben damit beschäftigt, sich mit zwei Bürsten den Kopf zu kämmen. Was will Ina nur," fragte er, nachdem er dem Grafen die Hand gedrückt hatte,daß sie mich schon um neun Uhr wecken läßt? Man ist doch müde ich bitte Dich."

Der Graf nahm auf dem Sopha Platz und setzte eine Cigarette in Brand.

Unten ist ein Mißverständniß zu Tage getreten," begann er,ein komisches, aber doch auch fatales Mißverständniß. Fräulein Heinersdorf bildet sich nämlich ein, daß Du sie ab­sichtlich erst zum Tanz engagirt und dann sitzen gelassen habest."

Der Baron stand vor dem Spiegel und betrachtete ver­mittelst eines Handspiegels seinen Hinterkopf. Er machte bei den Worten seines Schwagers eine Bewegung, als ob er sich nach diesem umwenden wolle, blieb aber in seiner Stellung. Der Graf, der ihn scharf beobachtete, bemerkte, daß er erröthete. Es liegt, wie gesagt, ein Mißverständniß vor," fuhr er fort. Du hattest ohne Zweifel vergessen, daß Du schon engagirt hattest, und als es Dir einfiel und Du Dein Versehen gut machen wolltest, war die junge Dame schon fort und Du suchtest vergeblich nach ihr! Es wird Dir lieb sein, Deine Entschuldi­gung jetzt endlich anbringen zu können. Wir unsererseits haben der Dame schon versichert, daß Du völlig unfähig wärest, in dieser Weise gegen ein junges Mädchen zu handeln."

Der Baron dachte einen Augenblick daran, sich zu wehren, aber die Worte seines Schwagers waren in einem so energischen Tone ausgesprochen worden, daß er es vorzog, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Natürlich," sagte er, indem er den Spiegel fortlegte und ohne sich umzusehen, an seiner Binde rückte.Ich bitte Dich, man kann vergessen, daß man schon engagirt hat. Ich habe im vorigen Winter bei Rottenkampfs weißt Du, bei Leonti Feodorowitsch mit der Komtesse Jda Mazurka getanzt und ich hatte vorher die kleine Rnschejew engagirt. Was soll man dazu sagen man muß seine Entschuldigung machen."

Der Graf streifte das Feuer seiner Cigarette in den Aschen­

becher, zerstampfte es mit dem Rest derselben und erhob sich. Also Du kommst," sagte er.

Natürlich. Aber sage doch noch, ich bitte wie erfuhrt Ihr von der Sache?"

Der Baron fuhr, während er diese Frage that, mit der Rechten in den Aermel seiner Uniform, und wandte dem Grafen den Rücken zu.

Fräulein Heinersdorf wollte in Folge des Mißverständ­nisses sofort unser Haus verlassen."

Aber erbarme Dich ich bitte Dich ich komme so­fort," rief der Baron und zog die Uniform vollends an.

Sind die Leute hier aber kitzelig," dachte er.

Alice hatte gefürchtet, daß die Scene sehr peinlich werden würde, ihre Besorgniß war aber unbegründet gewesen. Der Baron trat mit vollständiger Unbefangenheit auf sie zu.

Liebes Fräulein," sagte er mit dem gewinnendsten Lächeln, an dem sogar seine Augen theilnahmen,ich muß Sie herzlich um Verzeihung bitten. Aber ich bin mitunter so zerstreut, und da kam im letzten Augenblick der Herr von ja, wie hieß er nur, der Herr von nun, Sie werden ja schon wissen, wen ich meine, und sagte, die Gräfin sei noch nicht engagirt und

ich ich vergesse, daß ich schon engagirt, habe und engagire

die Gräfin. Wie ich mich neben sie stelle, fällt mir ein, daß ich schon engagirt habe. Ich suche Sie, aber Sie sind schon fort. Ich bitte nochmals um Pardon!"

Er reichte Alice die Hand hin, und diese mußte trotz aller inneren Entrüstung die ihrige für einen Augenblick in dieselbe legen.Ist es möglich, daß man mit einem so wohlwollenden freundlichen Gesicht so unverschämt lügen kann!" dachte sie. Ihre Augen suchten unwillkürlich den Grafen, aber dieser war nicht im Zimmer.

Liebes Fräulein," sagte Frau Ina jetzt, indem auch sie Alice die Hand reichte,Sie haben sich jetzt selbst überzeugt, daß ein Mißverständniß vorlag, und können daher, ohne Ihrer Ehre etwas zu vergeben, nach wie vor unsere Hausgenossin bleiben."

Alice drückte der Gräfin die Hand und eilte dann rasch aus dem Zimmer.

Der Baron nahm mit der Zuckerzange einige Stücke Zucker, ließ sie in seinen Thee fallen, sah sich im Zimmer um, und sagte dann:Ich muß aber sagen, Ina, daß diese Gouvernante eine sehr merkwürdige Stellung in Eurem Hause einuimmt. Sie steht zu Euch in einem sehr merkwürdigen Verhältniß."

Die Gräfin blickte schweigend vor sich nieder. Sie sagte sich, daß sie eben selbst jede Möglichkeit vernichtet hatte, dieses merkwürdige Verhältniß" demnächst zu lösen.

X.

Baron Paul reiste nach zwei Tagen ab, und bald darauf traten auch die Campells ihre Reise an. Sie hatten der Tochter vorgeschlagen, sie nach Pyrmont zu begleiten, diese wollte aber ohne ihren Gemahl nicht fort und der Graf erklärte entschieden, Rotenhof in diesem Jahre nicht verlassen zu können. Die beiden vorhergehenden Jahre, in denen alles verregnet, respektive verdorrt war, hatten den Hunger ins Land gebracht und den Grafen veranlaßt, um den nothleidenden Arbeitern helfen zu können und die günstigen Lohnverhältnisse auszunutzen, groß­artige Meliorationen vorzunehmen. Diese es handelte sich hauptsächlich um ein System von Kanälen und Gräben, das den Forst entwässern sollte mußten nun in diesem Jahr zum Abschluß gebracht werden. Dazu kam dann noch Hallermünde mit allen möglichen Anforderungen und Sorgen. Nein, der Graf konnte nicht fort und in Folge dessen blieb auch Frau Ina zu Hause. Der Doktor drang auch nicht weiter in sie. Wenn Sie sich' sehr schonen," hatte er gesagt,und brav liegen liegen, Jnachen, fleißig liegen so wollen wir des Hebels schon Herr werden, so daß Sie übers Jahr wieder ganz her­gestellt sein sollen."

So lag Frau Ina denn fast den ganzen Tag über allein auf ihrer Couchette. Der Graf hatte ihr angeboten, eine Ge­sellschafterin für sie zu engagiren, aber sie hatte diesen Vor­schlag mit Entrüstung zurückgewiesen. Es wurde nur eine