tüchtige Wirthschafteriu in Dienst genommen, eine rundliche Frau, die rüstig in Küche und Keller hantierte, gesellschaftliche Ansprüche aber weder erhob, noch zu erfüllen im Stande war.
Alice hatte sich erboten, der Gräfin vorzulesen; diese hatte das Anerbieten aber in freundlichen Worten abgelehnt. Der ! Graf seinerseits war immer erst von Mittag ab zn Hanse.
Er selbst las nur sehr selten, und seine Lektüre hatte dann immer einen ganz bestimmten Zweck, d. h. er wollte sich über einen bestimmten Gegenstand unterrichten, über landespolitische ! Fragen zum Beispiel, oder über einen Fortschritt im Ziegel- brennen oder über das Branereiwesen. Er las dann mit der s Absicht, das Gelesene auf seine praktische Anwendbarkeit zn
j prüfen, und legte das Buch sogleich fort, wenn er sich über-
t zeugt hatte, daß es in dieser Beziehung nichts Brauchbares
!! enthielt. Vorlesen war ihm ein Greuel, und da er daraus
H früher seiner Frau gegenüber kein Hehl gemacht hatte, so
empfand diese es nur peinlich, wenn er sich jetzt nicht abhalten ^ ließ, es doch zu thun.
i Ans einen herrlichen Juni folgte ein sehr regnerischer
Juli, der die Gräfin, die Feuchtigkeit sorgfältig vermeiden mußte, säst ganz in ihr Zimmer bannte. Kam nun der Graf, der mit der Sonne aufgestanden war und sich den ganzen Tag über in Sonne und Regen getummelt hatte, nach Tisch müde und matt in das Zimmer seiner Frau, so waren die Stunden, die er mit ihr verbrachte, keinerlei Erholung für ihn. Er, der , nie krank gewesen war, empfand dieses Stillfitzen neben seiner schweigsamen Frau wie eine kaum zu ertragende Qual. Die Gräfin war nie sehr beredt gewesen, aber sie hatte früher lebhaften Antheil an allem genommen, was ihn interessirte, und — das Ehepaar hatte sich viel zu thun gemacht. Jetzt war das anders; die sich sonst so zahlreich in Rotenhof einsindenden Nachbarn blieben aus Rücksicht auf die Krankheit der Hausfrau ans, und Frau Ina hatte gar nichts zu thun, als den quälenden Gedanken nachzuhängen, die ihr eifersüchtiges Temperament immer wieder in ihr wachrief, und die sie doch sorgfältig vor ihrem Gemahl verbarg. Während der Gras ihr von den Arbeiten, die er den Tag über angeordnet, von dem man- ; cherlei Verdruß, den er gehabt hatte, erzählte, dachte sie dar-
- über nach, warum Gott, der doch der Allgütige war, ihr wohl
! diese Nebenbuhlerin in ihr glückliches friedliches Hans geschickt
hatte, und verrieth dann in ihren Antworten, daß sie den Ausführungen ihres Gemahls gar nicht gefolgt war.
So kam es denn, daß der Graf froh war, wenn die Uhr ! ans dem Kaminsims mit ihrer feinen Hellen Stimme neun schlug
! und er hinübergehen konnte zu Alice und den Kindern, um noch
^ ein Stündchen mit ihnen fröhlich zu verbringen. Die Gräfin
hatte in jenem selbstquälerischen Behagen, das der Eifersucht ^ eigen ist, selbst darauf gedrungen, daß er sich schon um neun von ihr verabschiedete — er schlief jetzt, um sie am Morgen nicht zn stören, in einem anderen Zimmer — und behauptete, dann schon allmählich zu Bett gehen zn müssen. Und doch zürnte sie ihm innerlich, daß er sich diese Einrichtung — wenn auch nur mit vielen: Widerstreben — hatte aufdringen lassen. Wenn er fort war, ließ sie durch Amalie die Thüre ein wenig öffnen l und lauschte gespannt auf jedes Lachen, das zu ihr herüberklang, wie der Fieberkranke den kalten Trank gierig einschlürft, auch wenn er weiß, daß derselbe seine Leiden nur vermehren wird. Sie ließ sich dann, um ihren Gemahl, der doch hin und wieder auf einen Augenblick zu ihr kam, täuschen zu können, von Amalie zu Bett bringen; aber sie lag, auch wenn das Lachen längst verstummt war, noch wach im Bett, lauschte dem Rauschen des Regens und blickte auf ihrer schweigenden Pflegerin immer gleich finsteres Gesicht. Nur wenn die Gräfin physische Schmerzen hatte, klärte sich dieses Gesicht auf und beugte sich mit einem Ausdruck so hingebender selbstvergessender Liebe über sie, daß die Gräfin unwillkürlich mit der Hand über das glatt anliegende Haar ihrer Dienerin fuhr oder ihr dankbar die Wange streichelte. Amalie ergriff dann diese Hand und klißte sie leidenschaftlich. Ein paar Mal war es vorgekommen, daß in solchen Fällen heiße Thränen auf die Hand fielen. Die Gräfin hatte nie nach der Ursache derselben gefragt — sie glaubte sie zu kennen.
Und doch war unter den Frauen von dieser Ursache nie die Rede. Die Gräfin hatte eine unüberwindliche Scheu, diesen Gegenstand zu berühren, und Amalie dachte: „Kann ich den Stein, den man in den Fluß warf, schwimmen machend"
Für Alice hatte der Tag, ohne daß sie es selbst wußte, vierzehn Stunden des Wartens und zwei Stunden der Erfüllung. Diese letzteren Stunden waren die Mahlzeit und das Abendstündchen, in dem sich der Graf zn ihr und den Kindern begab. Die vierzehn Stunden waren sehr still und sehr, sehr lang; die zwei Stunden aber waren voll Frohsinn, wenn sie auch nur zu rasch vorübergingen. Die beiden unterhielten sich scheinbar nicht viel miteinander, meist führten die kleinen Mädchen das große Wort und gaben das Gesprächsthema an und doch war ihnen, als ob sie nur miteinander sprächen. Der Graf nannte Alice, wenn sie allein waren, Cousine, und sie sollte ihn Vetter nennen, brachte es aber fast nie zu Stande.
Einmal neckte der Graf die kleine Erna damit, daß sie so grobes Haar habe. „Du solltest sehen, was Fräulein Alice für weiches Haar hat!" schloß die Verteidigung. — „Das muß untersucht werden," sagte der Graf, erhob sich mit aller Gravität und fuhr mit seiner Rechten über Alices Haar. Die Bewegung berührte ihn angenehm, Alice fuhr sie wie ein elektrischer Schlag durch den Leib. Sie erröthete bis an die Haarwurzeln und wunderte und ärgerte sich darüber. Das Gespräch wollte nicht recht wieder in Gang kommen. Der Graf, der ihr Erröthen bemerkt hatte, erschrak und nahm sich vor, solchen Berührungen künftig sorgfältig aus dem Wege zu gehen. „Was das nervös ist!" dachte er. Als er, nachdem sie auseinander gegangen waren, nach seiner Gewohnheit noch eine Cigarrette rauchend zum Fenster hinaussah, mußte er wieder an das kleine Erlebniß denken. Welch ein Glück, daß dieses harmlose unschuldige Mädchen in seinem Hause Schutz gefunden hatte! Was hätte ihr nicht zustoßen können, wenn sie in die Fremde gegangen und unter schlechte Menschen gerathen wäre!
Der Graf lag noch lange im Fenster und blickte hinaus in die feuchte heiße Nacht. Als er sich ausrichtete, hörte er ein Fenster leise klirren. Er blickte hinauf und gewahrte, daß Alices Fenster eben geschlossen wurde. Sie hatte also auch am Fenster gesessen.
Der Graf hatte sich vorgenommen, eine solche Vertraulichkeit nicht wieder Vorkommen zu lassen, und er führte seine Absicht aus. Eines Abends aber legte Eleonore die eine Hand auf den Tisch, der Vater mußte die seinige darauf legen, sie fügte die zweite hinzu, er auch die seinige. Dann zog sie ihre zn unterst liegende Hand fort und legte sie nach oben, wohin ihr seine Hand folgen mußte. Es kam daraus an, die Hände möglichst rasch zu wechseln. „Fräulein Alice, spielen Sie auch mit!" Alice legte ihre Hand nun auch darauf. Als sie die des Grafen berührte, zog dieser seine Hände fort, stand auf und ging ein paar Mal im Zimmer auf und nieder. „Pardon, aber es ist so heiß!" sagte er.
Alice und die Kinder spielten ruhig weiter.
Der Graf schlief in der darauf folgenden Nacht schlecht. Er schob die Schuld davon auf den Hellen Mondschein und stand schließlich auf, kleidete sich an und ging in den Garten. Die Thüre zum Park war offen gelassen worden, und eine zahme Ricke durch dieselbe in den Garten gekommen. Sie näherte sich dem Grafen, der sie mit Brot zu füttern pflegte, leckte ihm die Hand und sah dann mit ihren großen dunklen Augen zu ihm empor. Georg umfaßte den Hals des Thieres, beugte sich zu ihm herab und küßte es aus die feuchte Stirn. Er setzte sich dann auf eine Bank und blickte empor zu der finsteren Masse des Schlosses und zu dem Mond hoch über demselben, dem sich langsam eine schwarze Wolke näherte. Es hatte am Abend geregnet und tröpfelte nun noch von den Bäumen, als ob die Riesen des Parkes Thränen weinten. Eine Eule flog schreiend über den Garten hin, und irgendwo weit unten im Park schien ein schwerer Gegenstand, ein Zweig oder dergleichen, dumpf zu Boden zu fallen. Seltsam — so befangen, so ahnungsvoll traurig und doch auch wieder so freudig war Georg einst zu Muth gewesen, wenn er als halber Knabe noch in seinen Ferien allein einen nächtlichen Wald durchwandelt