Heft 
(1878) 08
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weiteren Horizont zu haben, und hat deshalb auch als unver­änderlicher Politikerauf seine eigene Hand" auf die spätere Entwickelung einen wesentlichen Einfluß nicht mehr aus­geübt.

Eine eigenthümliche Gestalt war der Herr d'Ester, ein entschieden talentvoller, rühriger und thätiger Mann, der indes seine politische Thätigkeit dadurch beeinträchtigte, daß er auch als parlamentarischer Führer den rheinischen Schoppenstecher nicht verleugnen konnte. . Dies hatte die Folge, daßnachts um die zwölfte Stunde" das volle Faß sich spaltete und seinen politischen Inhalt zum besten gab. Außerdem hatte er die Ge­wohnheit, zu einer bestimmten Stunde des Abends den Rock auszuziehen. Nun hatte er gute Freunde, welche diesen Augen­blick benutzten, nur von den in seinem Rocke befindlichen Ge­heimnissen Notiz zu nehmen, so daß die Regierung, was da­mals vielfach überraschte, stets von allein, was er und seine Freunde dachten und wollten, ziemlich genau unterrichtet war.

Diesen Kapazitäten der demokratischen Partei hatte die konstitutionelle Partei, die sich damalsdie Rechte" nannte, nur ein bescheidenes Kontingent gegenüberzustellen. Männer, die theilweise mit gebrochenem Schwerte kämpften, weil sie sich von der Demokratie nicht in den Prinzipien, sondern nur in den Konsequenzen trennten und die andererseits derart in dem Majoritätsgedanken verstrickt waren, daß sie mit diesem auf der schiefen Ebene unaufhaltsam bergab gingen. Der begabteste auf konstitutioneller Seite war der Herr von Meusebach, da­mals, soviel ich weiß, Regierungsassessor in Marienwerder, ein jovialer Lebemann, dessen Gabe und Verdienst es war, durch den burschikosen Ton, welchen er anschlug, die ursprüngliche Furcht seiner Gesinnungsgenossen einigermaßen zu bannen. Von ihm ist der prophetische Ausspruch, daß esin der National­versammlung nach Leichen rieche."

Neben ihm fungirte deralte Harkort", welcher damals in Folge seiner mit Geschick und in populärer Sprache ge­schriebenenBurger- und Banernbriefe", welche in den Pro­vinzen einen entschiedenen Eindruck machten, als eine konser­vative Größe gefeiert wurde.

Je unbestimmter und verschwommener die Prinzipien und Bestrebungen der einzelnen politischen Nüancen an sich waren, desto farbloser und inkommensurabler wurden natürlich auch ihreGrößen" undleitenden Geister", und es wird sich später noch Gelegenheit finden, auf einzelne derselben hinzuweisen.

Anlangend die weitere Entwickelung selbst, so stellte sich dabei die eigenthümliche aber bekannte Erscheinung heraus, die man wahrscheinlich schon am Himmel beobachtet haben wird, daß, wenn sich Wind oder Wetter ändern wollen, die oberen und die unteren Wolkenschichten nicht selten nach verschiedener Richtung getrieben werden. So wehte auch in der National­versammlung und in der Bevölkerung selbst ein verschiedener Wind und zwar so, daß die Verschiedenheit der Strömung sich nicht nur im ganzen und großen, sondern auch in den ver­schiedenen Unterabtheilungen geltend machte. Während im Volke selbst, nach der Ueberwindung der ersten Ueberraschung die vorhandenen Kräfte und Elemente wiederum mit ihrer selbst­

eigenen Kraft und ihrem natürlichen Schwergewicht zu wirken begannen, fing in der Nationalversammlung selbst eine gewisse Aölltzratio asgaivoon an Platz zu greifen, indem der dort ver­sammelte momentane Niederschlag des Bolksgeistes sich mit der Täuschung schmeichelte, der spezifische und dauernde Extrakt desselben zu sein und sich um deswillen in seiner eigeuthüm- lichen Stellung je länger desto mehr befestigte und verrannte. Der Erfolg konnte natürlich kein anderer sein, als daß man später, als es darauf ankam, seine Kraft und Bedeutung zu erweisen, sich zur eigenen Ueberraschung und Beschämung völlig isolirt fand und bei seinem Verschwinden nichts als den üblichen Geruch" hinter sich ließ.

Dieselbe verschiedene Strömung aber machte sich auch innerhalb der Nationalversammlung selbst bemerkbar und würde unzweifelhaft schon damals größere Dimensionen angenommen haben, wenn nicht die baldige Niederlage der demokratischen Partei als solcher das Offenbarwerden der Spaltung verhin­dert hätte. Erfahrungsmäßig nämlich spalten sich die aus mehreren Elementen zusammengesetzten Parteien nur im Falle des Sieges, weil die gemeinsame Opposition und Aktion selbige bis dahin zusammenhält, wie Nur dies später bei der Fort­schrittspartei bestätigt gefunden haben. Diese fiel mit dem Tage ihres Sieges zunächst in die beiden BestaudtheileNa­tionalliberalismus" undFortschritt" auseinander, von welchen alsdann auch der letztere die Führung seiner sozialgefärbten Hintersassen nur noch so lange behauptete, als er die Täuschung festzuhalten vermochte, daß er volkstümlichere soziale Ziele verfolge, als die uationalliberale Partei.

Nicht ohne Interesse dürste es sein, hierbei noch speziell darauf aufmerksam zu machen, daß in jener Zeit auch der Handwerkerstand anfing, sich auf seine alten Institutionen zu besinnen, ein Anfang, der in sich die Möglichkeit einer über­aus segensreichen Entwickelung barg, wenn man anders ver­standen hätte, mit Wohlwollen und Voraussicht auf dessen Be­strebungen einzugehen.

Inzwischen war auf den Wunsch des nach Ruhe und Ord­nung schmachtenden Bürgerseiniges Militär" nach Berlin zurückgckehrt, ohne indes die Physiognomie der Stadt dadurch wesentlich zu verändern. Der Grund hierfür lag in den eigen­tümlichen Dispositionen, durch welche man das Militär zu der damals unter dem provisorischen Kommando des Herrn voll Minntoli stehenden Bürgerwehr in eine untergeordnete Stellung gebracht hatte. Ein großer Theil der Wachen blieb in den: ausschließlichen Besitz der Bürgerwehr, nur ein kleiner wurde von dem Militär ausschließlich besetzt, und bei den ge­meinschaftlichen Wachen war der militärische Befehlshaber dem Kommandeur der Bürgcrwehr subordiuirt. Außerdem entbehrte das Militär jeder eigenen Initiative und blieb mit seiner Aktion auf die Requisition der bürgerlichen Chefs angewiesen. Nur wer die Heldentaten der Bürgerwehr ans der Nähe mit angesehen, als die Arbeiter ihnen als Gegner gegenüber stan­den und zum Vergnügen ihre Fackeln auf ihren Rücken ab­klopften, vermag die Weisheit dieses Arrangements vollkommen zu würdigen.

W a i d m a n n s H e i t.

(Zu dem Bilde auf Seite 125 .)

Nachdruck Verbote». Ges. v. Il./VI. 7».

Der Winter ist da, die Geheimräthe fangen an, sich spo­radisch in hohen Stiefeln, in der grauen Weidmannsjoppe und mit ungeheueren Jagdtaschen zu zeigen. Die Jagdklubs fahren in geräumigen Kremsern zu allen Thoren der Residenz hinaus, die Jagdfruhstücke werden epidemisch, und die modernen Nimrods eröffnen auf allen Feldmarken ihr wadenverderbliches Kreuzfeuer.

Aujust", der Stammhase des Lichteuberger Reviers, der Nestor aller Hasen der Umgegend, liegt früh noch fest im Lager. Erst spät erhebt er sich, macht Männchen und sichert; die Winterluft streicht scharf über die Felder und fegt ihm empfindlich kühl über die Wolle hinweg.Es wird Zeit, zu Holze zu gehen," meint er,aber ich begreife gar nicht, wo sie diesmal bleiben."

So lange bis seinKlub" zum ersten Male kam, hielt er sich fest an den großen Wassergraben nahe der Chaussee; dann erst suchte er sein geschützteres Winterlager im Busch, von dem aus freilich die Rübenfelder schwerer zu erreichen sind.

Endlich!" und er äugt scharf die Straße nach der Stadt entlangda kommen sie, also die sind's." Er hatte den Schauspieldirektor, den Kreisgerichtsrath, den Stadtphysi- kus, den Geheimen Baurath, zwei Banquiers und den Pro­fessor auf sich zu nehmen, aber er kannte sie. Ohne Sorge ging er in die Saison.Der Professor ist der gefährlichste; denn er ist ganz blind und man kann nie wissen, wo er hin­schießt", reflektirt er weiter, macht aber noch keinerlei Anstalten,