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weiteren Horizont zu haben, und hat deshalb auch als unveränderlicher Politiker „auf seine eigene Hand" auf die spätere Entwickelung einen wesentlichen Einfluß nicht mehr ausgeübt.
Eine eigenthümliche Gestalt war der Herr d'Ester, ein entschieden talentvoller, rühriger und thätiger Mann, der indes seine politische Thätigkeit dadurch beeinträchtigte, daß er auch als parlamentarischer Führer den rheinischen Schoppenstecher nicht verleugnen konnte. . Dies hatte die Folge, daß „nachts um die zwölfte Stunde" das volle Faß sich spaltete und seinen politischen Inhalt zum besten gab. Außerdem hatte er die Gewohnheit, zu einer bestimmten Stunde des Abends den Rock auszuziehen. Nun hatte er gute Freunde, welche diesen Augenblick benutzten, nur von den in seinem Rocke befindlichen Geheimnissen Notiz zu nehmen, so daß die Regierung, was damals vielfach überraschte, stets von allein, was er und seine Freunde dachten und wollten, ziemlich genau unterrichtet war.
Diesen Kapazitäten der demokratischen Partei hatte die konstitutionelle Partei, die sich damals „die Rechte" nannte, nur ein bescheidenes Kontingent gegenüberzustellen. Männer, die theilweise mit gebrochenem Schwerte kämpften, weil sie sich von der Demokratie nicht in den Prinzipien, sondern nur in den Konsequenzen trennten und die andererseits derart in dem Majoritätsgedanken verstrickt waren, daß sie mit diesem auf der schiefen Ebene unaufhaltsam bergab gingen. Der begabteste auf konstitutioneller Seite war der Herr von Meusebach, damals, soviel ich weiß, Regierungsassessor in Marienwerder, ein jovialer Lebemann, dessen Gabe und Verdienst es war, durch den burschikosen Ton, welchen er anschlug, die ursprüngliche Furcht seiner Gesinnungsgenossen einigermaßen zu bannen. Von ihm ist der prophetische Ausspruch, daß es „in der Nationalversammlung nach Leichen rieche."
Neben ihm fungirte der „alte Harkort", welcher damals in Folge seiner mit Geschick und in populärer Sprache geschriebenen „Burger- und Banernbriefe", welche in den Provinzen einen entschiedenen Eindruck machten, als eine konservative Größe gefeiert wurde.
Je unbestimmter und verschwommener die Prinzipien und Bestrebungen der einzelnen politischen Nüancen an sich waren, desto farbloser und inkommensurabler wurden natürlich auch ihre „Größen" und „leitenden Geister", und es wird sich später noch Gelegenheit finden, auf einzelne derselben hinzuweisen.
Anlangend die weitere Entwickelung selbst, so stellte sich dabei die eigenthümliche aber bekannte Erscheinung heraus, die man wahrscheinlich schon am Himmel beobachtet haben wird, daß, wenn sich Wind oder Wetter ändern wollen, die oberen und die unteren Wolkenschichten nicht selten nach verschiedener Richtung getrieben werden. So wehte auch in der Nationalversammlung und in der Bevölkerung selbst ein verschiedener Wind und zwar so, daß die Verschiedenheit der Strömung sich nicht nur im ganzen und großen, sondern auch in den verschiedenen Unterabtheilungen geltend machte. Während im Volke selbst, nach der Ueberwindung der ersten Ueberraschung die vorhandenen Kräfte und Elemente wiederum mit ihrer selbst
eigenen Kraft und ihrem natürlichen Schwergewicht zu wirken begannen, fing in der Nationalversammlung selbst eine gewisse Aölltzratio asgaivoon an Platz zu greifen, indem der dort versammelte momentane Niederschlag des Bolksgeistes sich mit der Täuschung schmeichelte, der spezifische und dauernde Extrakt desselben zu sein und sich um deswillen in seiner eigeuthüm- lichen Stellung je länger desto mehr befestigte und verrannte. Der Erfolg konnte natürlich kein anderer sein, als daß man später, als es darauf ankam, seine Kraft und Bedeutung zu erweisen, sich zur eigenen Ueberraschung und Beschämung völlig isolirt fand und bei seinem Verschwinden nichts als den „üblichen Geruch" hinter sich ließ.
Dieselbe verschiedene Strömung aber machte sich auch innerhalb der Nationalversammlung selbst bemerkbar und würde unzweifelhaft schon damals größere Dimensionen angenommen haben, wenn nicht die baldige Niederlage der demokratischen Partei als solcher das Offenbarwerden der Spaltung verhindert hätte. Erfahrungsmäßig nämlich spalten sich die aus mehreren Elementen zusammengesetzten Parteien nur im Falle des Sieges, weil die gemeinsame Opposition und Aktion selbige bis dahin zusammenhält, wie Nur dies später bei der Fortschrittspartei bestätigt gefunden haben. Diese fiel mit dem Tage ihres Sieges zunächst in die beiden Bestaudtheile „Nationalliberalismus" und „Fortschritt" auseinander, von welchen alsdann auch der letztere die Führung seiner sozialgefärbten Hintersassen nur noch so lange behauptete, als er die Täuschung festzuhalten vermochte, daß er volkstümlichere soziale Ziele verfolge, als die uationalliberale Partei.
Nicht ohne Interesse dürste es sein, hierbei noch speziell darauf aufmerksam zu machen, daß in jener Zeit auch der Handwerkerstand anfing, sich auf seine alten Institutionen zu besinnen, ein Anfang, der in sich die Möglichkeit einer überaus segensreichen Entwickelung barg, wenn man anders verstanden hätte, mit Wohlwollen und Voraussicht auf dessen Bestrebungen einzugehen.
Inzwischen war auf den Wunsch des nach Ruhe und Ordnung schmachtenden Bürgers „einiges Militär" nach Berlin zurückgckehrt, ohne indes die Physiognomie der Stadt dadurch wesentlich zu verändern. Der Grund hierfür lag in den eigentümlichen Dispositionen, durch welche man das Militär zu der damals unter dem provisorischen Kommando des Herrn voll Minntoli stehenden Bürgerwehr in eine untergeordnete Stellung gebracht hatte. Ein großer Theil der Wachen blieb in den: ausschließlichen Besitz der Bürgerwehr, nur ein kleiner wurde von dem Militär ausschließlich besetzt, und bei den gemeinschaftlichen Wachen war der militärische Befehlshaber dem Kommandeur der Bürgcrwehr subordiuirt. Außerdem entbehrte das Militär jeder eigenen Initiative und blieb mit seiner Aktion auf die Requisition der bürgerlichen Chefs angewiesen. Nur wer die Heldentaten der Bürgerwehr ans der Nähe mit angesehen, als die Arbeiter ihnen als Gegner gegenüber standen und zum Vergnügen ihre Fackeln auf ihren Rücken abklopften, vermag die Weisheit dieses Arrangements vollkommen zu würdigen.
W a i d m a n n s H e i t.
(Zu dem Bilde auf Seite 125 .)
Nachdruck Verbote». Ges. v. Il./VI. 7».
Der Winter ist da, die Geheimräthe fangen an, sich sporadisch in hohen Stiefeln, in der grauen Weidmannsjoppe und mit ungeheueren Jagdtaschen zu zeigen. Die Jagdklubs fahren in geräumigen Kremsern zu allen Thoren der Residenz hinaus, die Jagdfruhstücke werden epidemisch, und die modernen Nimrods eröffnen auf allen Feldmarken ihr wadenverderbliches Kreuzfeuer.
„Aujust", der Stammhase des Lichteuberger Reviers, der Nestor aller Hasen der Umgegend, liegt früh noch fest im Lager. Erst spät erhebt er sich, macht Männchen und sichert; die Winterluft streicht scharf über die Felder und fegt ihm empfindlich kühl über die Wolle hinweg. „Es wird Zeit, zu Holze zu gehen," meint er, „aber ich begreife gar nicht, wo sie diesmal bleiben."
So lange bis sein „Klub" zum ersten Male kam, hielt er sich fest an den großen Wassergraben nahe der Chaussee; dann erst suchte er sein geschützteres Winterlager im Busch, von dem aus freilich die Rübenfelder schwerer zu erreichen sind.
„Endlich!" — und er äugt scharf die Straße nach der Stadt entlang — „da kommen sie, also die sind's." Er hatte den Schauspieldirektor, den Kreisgerichtsrath, den Stadtphysi- kus, den Geheimen Baurath, zwei Banquiers und den Professor auf sich zu nehmen, aber er kannte sie. Ohne Sorge ging er in die Saison. „Der Professor ist der gefährlichste; denn er ist ganz blind und man kann nie wissen, wo er hinschießt", reflektirt er weiter, macht aber noch keinerlei Anstalten,