Heft 
(1878) 08
Seite
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Freunde Bismarck theoretisch entschieden überlegen war, seine damalige Stellung in der Hauptsache festgehalten. Dadurch ! ist die Entwickelung beider je länger desto mehr eine diver- j girende geworden und zwar in dem Maße, daß, während ! Bismarck der erste Staatsmann Europas geworden, Kleist ! der Repräsentant des alten preußischen Adels, allerdings im edelsten Sinne des Wortes, geblieben ist.

Daß der Professor Stahl, welcher alsbald eine so her-

> vorragende politische Stellung einnahm, anfangs weniger in den Vordergrund trat, hatte seinen Grund darin, daß er

> zu denjenigen gehörte, welche Berlin ans einige Zeit verließen, und daß er überdies mit der ihm eigenthümlichen Leistungs-

! fähigkeit mehr aus die Studirstube angewiesen war. j Inzwischen nahm die Bewegung ihren Fortgang. Dabei

! blieb die weitere Entwickelung der Dinge in Paris in vieler Bezieh,mg von maßgebender Bedeutung. Auch in Preußen , waren seit der schlechten Ernte und dem daraus hervorgehen- ! den Nothstande des Jahres 1846 gewisse Fragen aufgetaucht, und die Betheiligten blickten um so gespannter und erwartungs­voller nach Paris, als man dort mit lauter Stimme dasneue Evangelium der Armen" verkündigte und auch dem übrigen ! Europa baldige Hilfe verhieß.

! Wie schvn vorher näher dargclegt wurde, war indes das

preußische Volk für jene Lehre damals zwar schon empfänglich, aber noch nicht reif; doch war die Bewegung immerhin be­deutend genug, um den nunmehrigen Ministerpräsidenten Camp - Hansen schon bei den Berathungen des vereinigten Landtags zu Aenßerungen zu bestimmen, welche sein Bruder, der jetzige Finanzminister Preußens, heute wahrscheinlich sehr bedenklich finden wird. Herr Camphansen der Aeltere empfahl nämlich damals die Einführung einer Einkommensteuer, weil eine solche Steuer die größere Verbreitung der Anerkennung erziele, für die Besitzlosen vieles zu thun, und weil er es eben für

^ eine Pflicht der Reichen hält, sich zu Gunsten der Armen selbst

! zu besteuern. Wie dunkel und verwirrt auch die Begriffe seien, ^ sagte derselbe, welche an die Schlagworte unserer Zeit an-

! knüpfen, an die Worte: Pauperismus, Proletariat, Kommunismus, i Sozialismus, Organisation der Arbeit das wird niemand

^ leugnen, daß auf dem tiefsten Grunde der wogenden Ober­

fläche eine Wahrheit liege, die Wahrheit nämlich, daß der ! Mensch, welcher lebe, auch das Recht habe zu leben, und daß

! dieses Recht von der Gesellschaft in einem erweiterten Umfange

^ anzuerkennen sei.

! Diese Auffassung bemächtigte sich in steigender Progression

auch der Masse der Bevölkerung und kam bei den Wählern

! dadurch zum Ausdruck, daß die aus den, Kompromisse der

! radikal-politischen Partei mit der sozialen Nuance hervor­

gegangene demokratische Partei einen großen Theil der Sitze der neuen Nationalversammlung gewann und sich alsbald auch ^ das Recht beilegte, als parlamentarische Linke im Namen des lVolkes" gegenüber den Konstitutionellen aufzutreten, ein An- i spruch, der von demVolke in Berlin" auf der Straße kräftig unterstützt wurde.Auf der Linken sitzt das Herz und auf der ! Linken schlägt das Herz des Volkes." Dieser Ausspruch Robert ! Blums wurde überall mit Variationen wiederholt.

Man muß es als eine Konsequenz dieser Auffassung be­zeichnen, wenn bald nach dem Zusammentritt dervereinbaren­den" Nationalversammlung es der demokratischen Partei gelang, ! sich der Führung zu bemächtigen, und diese auch so lange fest­zuhalten, bis die Krone ihr Bis-hierher-und-nicht-weiter sprach und dievierte Staatsgewalt", nämlich die Armee, wieder handelnd auf der Bühne erschien.

Es hieße Allbekanntes wiederholen, wollte ich auf die ein­zelnen Phasen der Nationalversammlung näher eingehen, doch kann ich es mir nicht versagen, an einenBerliner Witz" aus jener Zeit zu erinnern:Das Jahr 1848 habe bewiesen, daß schon im Jahre zuvor alles quurunto, ssx»t gestanden habe." Es war in der That so, als müßte man sich überall auf die Fun­damente und die Fundamentalwahrheiten von Staat und Ge­sellschaft neu besinnen.

Daß die in die Nationalversammlung eingetretenen Cele- britäten vom Tage vorher sehr schnell abgenutzt wurden, ver­

steht sich von selbst.. Sie hatten das Schicksal aller derer, welche sich der Täuschung hingeben, eine von ihnen selbst mitangeregte Bewegung in einem bestimmten, ihnen bequemen Stadium brem­sen zu können.

Unerwarteter war es dagegen, daß es einem in seiner früheren Heimat Westfalen unter dem Namen derBanern- könig" bekannten, persönlich sehr eifrigen Katholiken, dem Ober­tribunalsrath Waldeck, gelang, die unbestrittene Führerschaft der demokratischen Partei zu gewinnen und in dieser die Ten­denz zur herrschenden zu machen, die Macht des preußischen Königthums auf ein Minimum zu rednziren. Man hat damals die Frage aufgeworfen, ob Herr Waldeck diese Stellung ein­nahm, weil oder obgleich er Katholiksei. Man ist damals die ! Antwort auf diese Frage schuldig geblieben, und ich wage sie auch heute nicht positiv zu beantworten.

Neben dem Herrn Waldeck waren es besonders die Herren Oberbürgermeister Grabow aus Prenzlau, Regierungsrath von Unruh aus Potsdam, Oberbürgermeister Ziegler aus Branden­burg, Assessor Jung, aus Köln, Dr. Johann Jacoby ans Königsberg, Dr.d'Ester aus Köln und Behrens aus Berlin, welche als Mitglieder der demokratischen Partei die Aufmerk­samkeit ans sich zogen und von denen bekanntlich der erstere längere Zeit hindurch den Präsidentenstuhl der Nationalver­sammlung innehatte. Derselbe war jedoch, soweit meine Wahr­nehmungen reichen, stets mehr Werkzeug als Führer, wie er > denn auch schließlich bei der Sonderung der späteren Fort­schrittspartei als gemißbrauchter und desavouirter Staatsmann seine politische Laufbahn abgeschlossen hat.

Dagegen war der Herr von Unruh ein in seinem speziellen Fache als Regiernngsbaurath schon früher als sehr geschickt geltender, und dabei als loyal gerühmter Beamter, ein Mann mit eigener politischer Initiative und nicht ohne staatsmännische Gedanken und Apercus, wie denn bekanntlich von ihm der Rath ausging, vor allen Dingen die Kreis- und Gemeindeordnung im demokratischen Sinne zu reformiren, und wie er es denn auch war, unter dessen Vorsitze später das mit dem Namen Klub Unruh" bezeichnte Rumpfparlament in Berlin tagte.

Am unerwartetsten war das forcirt demokratische Auf­treten des Herrn Ziegler, da dieser nicht allein von Hause aus eine aristokratisch Angeschnittene Natur war, sondern bis dahin auch im regsten geselligen Verkehr mit den Offizieren des in Brandenburg garnisonirenden Kürassiexregiments gestanden und noch wenige Tage zuvor seine Bewunderung der preußischen Armee in sehr demonstrativer Weise kundgegeben hatte. Im übrigen war Herr Ziegler ein hervorragend begabter Mann, wie er dies später sowohl als Abgeordneter sowie als Schrift­steller bewiesen hat. Auch hat er seinem Vaterlande im Jahre 1866 den wesentlichsten Dienst geleistet, als er der erste war, welcher in Breslau die Fahne des preußischen Patriotismus hoch erhob, eine That, die in meinen Augen vieles andere ver­gessen macht.

Was den Assessor Jung anlangt, so befinde ich mich einiger­maßen in Verlegenheit, diesem seine rechte Stelle anznweisen.

Mit einer nicht gewöhnlichen Rednergabe ansgestattet, vermag ich ihn doch kann: als einen ernsthaften Politiker zu behandeln, sondern genau genommen nur als den Mann, welcher damals l die revolutionäre Schelle und Pritsche schwang und in Poesie- ^ reicher Verherrlichung der Barrikadenhelden schwärmte. Wie - es scheint, ist er jetzt ganz nüchtern geworden. ^

Eine besondere Gruppe bildeten die Herren Jacobi, d'Ester und Behrens und insbesondere war es der letztere, welcher mit den Volksmassen die genaueste und feinste Fühlung hatte und sich schon damals in dem sozialen Gedanken mit Verständnis; und Konsequenz bewegte. Neben diesem war indes auch schon damals der Dr. Johann Jacoby, der Verfasser der vier Fragen und gefeierter Held des oftpreußischen Liberalismus, nicht ohne tieferes Verständniß für die Zeichen der Zeit und ich glaube seinem Andenken das Anerkenntnis schuldig zu sein, daß seine spätere Hinneigung zum Sozialismus keineswegs auf einem Wechsel seiner Ansicht beruhte, sondern vielmehr die konsequente Entfaltung seiner ursprünglichen Stellung war. Herr Jacoby war an sich zuprinzipiell" und zukonsequent",' um einen