Heft 
(1878) 08
Seite
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Es ist nur ein Augenblick, aber der genügt dem sicheren Schützen; sein Schuß kracht weithin durch die Stille rollend, und mit gewaltigem Satze bricht das Opfer zusammen.

Nächtens wieder paßt er auf der Kanzel dem scheuen Eber auf, den er schon Wochen lang vergeblich verfolgte. Nur ein schwankes Brett hat er droben in der Buche angebracht, und Stunden lang hält er mit eiserner Geduld ans dem unbequemen Sitz aus, wenn ihn auch alle Glieder schmerzen. Drüben am Fuße eines anderen Baumes hat er die Aesung Kartoffeln und Erbsen auf die Fährte des Keilers niedergelegt. Genau auf den Punkt gerichtet, wo sie liegt, ist droben neben ihm sein Gewehr befestigt. Er hat es mit Bast an die Baumäste gebunden, mit groben Posten geladen. Es kostete ihn allein eine Stunde voll Mühe und Arbeit, bis er das zu Stande gebracht. Nun hört er das Schwein im Gehölze brechen; dann kann er seinen dumpfen tappenden Schritt vernehmen; es muß ein besonders starkes Thier sein. So schweigsam und stock­dunkel die Nacht auch ist, traut es ihr doch nicht. Es sichert wie jedes Wild, bleibt stehen, macht ein paar Schritte, hält wieder. Erst nach geraumer Zeit hört man es an der Aesung leise schnalzen. Nun muß es schnßgerecht sein. Ein Blitz, ein Knall beim Feuerschein erkannte der Jäger einen prächtigen Eber. Fiebernd vor Aufregung gleitet er den Stamm hinab kaum hat er jetzt die nöthige Vorsicht, von dem vielleicht nur Verwundeten nicht unnöthig geschlagen zu werden. Auch dieser Streich ist gelungen. Bei der kurzen Entfernung, in welcher er den Schuß erhielt, blieb auch der Eber unter dem Feuer.

Wer wirklich ein tüchtiger Jäger werden will, der muß dem edlen Waidwerk sein ganzes Leben weihen und früh an­fangen. Als Knabe dem Vater das Frühstück nnd den kleinen Jagdivagen nachbriugen, das ist die erste Schule. Auf dem angewiesenen Platz Stunden lang warten, lehrt die Natur und

ihr Leben beobachten. Dann folgt das Avancement zum Treiber­jungen. Er darf die Hunde führen ein schweres Geschäft; denn wehe ihm, wenn er sie auf nicht jagdbares Wild angehen läßt, oder gar auf einen zufällig flüchtenden Lampe, um das Hochwild zu verscheuchen. Bergmann, Finder und Waldmnnn haben ihn oft schon zu Boden geworfen, aber er läßt sich lieber schleifen, als die Leine fallen. Das Lob der Jäger ist seine Freude nnd sein einziger Lohn. Schon hat er Blick für die Jagd nnd sieht das Schwein, das die vornehmen Gäste seines Herrn den Vormittag über vergeblich suchen, ganz nahebei in einer Furche behaglich Haferähren pflücken. Aber er hütet sich, es zu verrathen. Lieber schleicht er mit des Vaters Gewehr heimlich selbst hinaus, nur ihm dort aufzupassen.

Welche Freude, als er die erste Flinte geschenkt bekommt, ein alter französischer Lauf, grob geschäftet mit einem schweren neu angebrachten Perkussionsschloß, aber für ihn doch ein großer Schatz. Feierlich ist ihm zu Mnthe, wie er zum ersten Male damit hinaus darf. Und die Probe wird eine schwierige. Zn wenig Wild finden, ist schlimm, aber zuviel sehn, ist's nicht minder. Das erste, dessen er gewahr wird, sind ein Rammler und eine Häsin, wohl nur zwölf Schritt von einander entfernt fest im Lager sitzend. Was thun? Den einen schießen, die anderen verscheuchen, scheint ihm ganz unwaidmännisch. Nach kurzem Besinnen aber schleicht er aus der Windseite flink und leise herum, bis beide Hasen für ihn in einer Schußlinie sind. Dann reißt er Funken, und er hat sie richtig beide.

Wenn Du in eine harte Lehre kommst, kann aus Dir etwas werden," sagt ihm der erfreute Vater. Die harte Lehre ist freilich nothwendig; sie trägt goldene Früchte.

Diesen Jägern vom echten Schrot und Korn, die sich's haben sauer werden lassen mit dem Waidwerk, wünschen wir vor allem heut unser:Waidmannsheil!" W. v. D.

Am AamMenlische.

Bücherschau. 1,1V.

Der arme Heinrich. Sieben Zeichnungen von Joseph Ritter von Führich. In Hvlz geschnitten von K. Oertel. Mit Text ! nach Hartmann von Aue. Leipzig, Verlag von Alphvns Dürr, h Zu den tiefsinnigsten Dichtungen des Mittelalters gehört die gegen

j das Ende des XII. Jahrhunderts entstandene Erzählung des Hart-

! mann von Aue:Der arme Heinrich". Dieselbe lautet kurz-

gefaßt:

Herr Heinrich von Aue, schön von Gestalt nnd ein Spiegel aller- ritterlichen Tugend, dazu reich gesegnet mit vielen Gütern und Gaben, h wird von einem bösen Aussatz befallen; die Welt flieht ihn wie einst

! Hiob, dessen Geduld ihm aber fehlte, so daß er seine Schwachheit ver­

wünschte und den Tag seiner Geburt verfluchte. Da alle Aerzte keinen > Trost hatten, rüstete er sich zuletzt ans eine weite Reise nach Salerne in Welschland. Da fand er den weisesten Meister in seiner Kunst, der ^ sagte ihm, daß zwar etwas sei, was solcher Sucht Heilung brächte, aber dennoch möchte er nicht davon genesen.Ihr müßtet eine freie ! Magd haben," sprach er,die mit ihrem Willen um Euch den Tod

i litte; mit dem Blut von ihrem Herzen wollte ich Euch wol heilen,

j Nun sehet, wie Ihr auf immer ungenesen seid." Heimgekehrt floh der

) arme Heinrich vor der Welt zu einem Meier, dem er einst viel Gutes

I getyan, und der ihm nun alles mit Treue nnd Willigkeit vergalt. Aber

mehr, als der Meier nnd seine Frau um ihn sorgten, that ihre ! Tochter; die wich nicht von seiner Seite und diente ihm, wenn er etwas

! begehrte; das that sie drei Jahre lang, weil sie fromm war, um

Gottes willen. Im Scherze hieß der kranke Ritter das Mädchen oft sein

Gemahl. Da aber seine Krankheit immer schlimmer ward, fragte ihn

! der Meier, Ivie es komme, daß er zu Salerne keine Heilung gefunden. Da erzählte er unter Thränen, was der Meister ihm. gesagt, und wie er seitdem sich gefaßt gemacht, seine Noth zu tragen bis an sein Ende. Des Meiers Tochter hatte aber diese Rede gehört, und als man ! nachts schlafen ging und sie doch nicht schlafen mochte und manchen schweren Seufzer von ihrem Herzen holte, da wurde ihre Trauer um

i den armen Ritter also groß, daß ihre Eltern von dem Weinen er-

! wachten. (Siehe das Bild S. 117.) So weinte sie Nacht um Nacht,

bis sie endlich zu dem festen Entschluß kam:Ich will seine Arzenei sein und für ihn sterben." Dadurch ward sie froh und leichten Muthes; ihre Eltern verwiesen ihr freilich die thörichte Rede, mußten aber zuletzt ihr den Willen gönnen. Auch der arme Heinrich willigte endlich darein, nachdem er lange cs ihr gewehrt. So fuhren der Ritter nnd die Magd nach Salerne. Als dort der Arzt ersehen, daß sie unwandelbar wäre, band er das Mädchen fest auf einen Tisch und wetzte fein Messer, um nach ihrem Herzen zu schneiden. Da dachte der Ritter, der durch einen Riß des Thürpfosten alles beobachtete:Wie darf ich ohne Gottes Willen des Kindes Tod fordern nnd will nickt vielmehr meine Schmach vor Gott williglich tragen, ohne den ich doch nicht mag errettet werden."

Dann drang er in das Gemach, zerschnitt die Bande und rief:Ich mag des Kindes Tod nicht sehen, Gottes Wille soll sich an mir er­füllen." Dabei blieb er trotz des Jammerns und Klagens der Jung­frau, mit der er sich alsdann auf die Heimfahrt machte. Da erkannte ihr beider Treue der hohe Meister, vor dessen Auge keines Herzen Thor beschlossen ist, und wie er einst an Hiob sich erwiesen hatte, so that er auch setzt und machte den kranken Ritter völliglich gesund.Dadurch zeichnet sich," sagt Uhland,Hartmauns Gedicht vor anderen Darstellungen dieser Opfersage besonders aus, daß nicht das blutige Opfer äußer­lich vollbracht und durch ein eben so gewaltsames Wunder die Todte wieder ins Leben geweckt wird, sondern daß die freiwillige Hingebung geistig vollendet wird nnd dann die Genesung nur leise wie ein Than vom Himmel sinkt." Der den Leserinnen gewiß willkommene Schluß ist übrigens, wie unschwer zu errathen, eine Hochzeit zwischen dem ganz verjüngten Ritter und der treuen Jungfrau, der er sein Leben zu danken hatte.

Seitdem die Brüder Grimm im Jahre 1815 das Hartmannschc Gedicht herausgegeben, ist dasselbe ein Gegenstand fortwährenden Studiums der Gelehrten geblieben und durch eine Reihe Uebersetzungen auch dem nichtgelehrten Publikum zugänglich gemacht worden. Am meisten Treue nnd Freiheit vereint Simrocks llebertragung, während Chamisso eine Ueberarbeitung geliefert hat, die fast eine Umdichtung zu nennen ist. Obgleich so vieles geschehen, diese werthvolle Dichtung dem modernen Geschmack zugänglich zu machen, irrt Simrock doch gewiß, wenn er meint:Sie ist wie für den heutigen Geschmack geschrieben und wird im neunzehnten Jahrhundert mit demselben Entzücken ge­lesenwerden wie im Anfang des dreizehnten." Vielmehr dürfte manchem unserer Leser das Gedicht bisher unbekannt geblieben sein, und sicher­lich gibt es viele, die unter Berufung auf hohe Autoritäten, wie Goethe, Hegel und Gervinus sich dagegen sträuben, überhaupt etwas Poetisches darin zu erkennen; die vielleicht fo urtheilen, ohne dasselbe je gelesen zu haben. Neue Freunde zu den alten zu werben und die alten neu zu erfreuen, ist nun die so eben aus der Presse hervorge­gangene Dürrsche Ausgabe in hohem Grade geeignet. Das Gedicht rst hier ineiner kürzeren Prosaerzählung" wiedergegeben,welche bei einiger Freiheit der Uebertragung doch im Tone einen dem Original ähnlichen Eindruck zu geben versucht." Dieser wirklich gut gelungenen Arbeit haben wir die oben gegebene Analyse zum Theil wörtlich ent­nommen. Zn der neuen Textbearbeitung sind dann die nachgelassenen sieben Zeichnungen des im vorigen Jahre zu Wien verstorbenen Joseph von Führich gekommen. Niemand war wohl berufener dazu, als dieser berühmte Maler der Romantik. Mit Zeichnungen zu TiecksGenoveva" und Phantasus" hatte er einst seine künst­lerische Laufbahn begonnen die Zeichnungen zu Hartmanns Armer Heinrich" sind ein würdiger Schluß derselben. Der sittliche Ernst der Auffassung, die Reinheit der Formen, die Schönheit der