Heft 
(1878) 09
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nicht gewesen, so wäre er jetzt todt verunglückt. Es wäre kein Selbstmord gewesen niemand hätte das geglaubt nein, er wäre verunglückt. Sein Weib hätte ihn als Ver­unglückten betrauern können, seine Kinder hätten einmal davon gesprochen, daß ihr Vater durch einen unglücklichen Zufall ums Leben gekommen sei, und Alice nun, Alice wäre so rein geblieben, wie sie war.

Ein Feuerstrahl blitzte auf, ein Rauchwölkchen stieg rasch zwischen den Bäumen empor und verflüchtete sich zwischen den Zweigen, ein Knall rollte durch die klare Herbstlnft und mischte sich mit dem Ton eines schweren Falles. Von der Eiche, die ihr Laubdach über das Pförtchen ausbreitete, sanken langsam einige welke Blätter herab, und ein paar Vögelchen flüch­teten ängstlich auf die nächsten Bäume.

Die Tonwelle, die der Schuß hervvrgerusen, eilte weiter und weiter. Sie rollte an Ina vorüber, die mit den Kindern aus der Veranda saß, und rief dort die Bemerkung hervor: Papa hat heute Glück"; sie fuhr so unerwartet in das Stübchen des alten Herrn Schwäberle, daß dieser sich erhob und aus­rief:Wie unvorsichtig"; sie traf unterwegs auf dem Burg­berge ein weinendes Mädchen, das Leidenschaft und Verzweif­lung zu einem verzweifelten Entschluß getrieben hatten, und das nun auffuhr und voll Angst und Hoffnung nach dem Park hinüberblickte; sie verlor sich endlich am Rande des Waldes, wo der alte Förster mit dem neuen Hunde hielt und jetzt vor sich hin murmelte:Der traf. Der Graf fehlt nie."

Die Sonne sank tiefer und tiefer, und ihre letzten Strahlen fielen roth auf das Schloß und den Park und das schöne fried­liche Antlitz des Mannes, der am Rande desselben im Rasen lag und schlief. Ein paar Eichelhäher flatterten ans den Zweigen der Eiche neugierig hin und her, ein naseweises Eichkätzchen kletterte an ihrem Stamme nieder, eilte, dazwischen cinhaltend und auf den Hinterbeinen sitzend, auf ihn zu, eine Goldammer saß in der Spitze des kleinen Tanuenbaumes am Wege und sang ihm ihr einfaches Schlaflied. Dann wurde alles still, und die Sterne traten nach und nach hervor, bis der dunkle Himmel sich wie eine mit Diamanten besetzte Decke über die Felder und den Park und den Schläfer breitete.

Der Förster war längst wieder nach Hause gegangen; Alice war in das Schloß zurückgekehrt, war niedergefallen auf ihre Kniee und hatte Gott in heißem Gebete dafür gedankt, daß der Graf nicht gekommen war; die übrigen hatten zu Abend gegessen und sich dann auf ihre Zimmer zurückgezogen. Daß der Graf noch nicht zurück war, fiel niemand auf. Er war schon oft auf eine Stunde fortgegangen und erst nach zwölf nach Hause zurückgekehrt; er hatte sich dann eben von einen: Geschäft zum anderen begeben, oder er hatte die Nacht beim Förster geschlafen, um am anderen Morgen weiter zu jagen. Letzteres zumal geschah in der Jagdzeit nicht selten.

Und doch litt Ina gerade heute schwer darunter, daß er nicht zurückkam. Eine unerträgliche Sehnsucht nach ihm zer­riß ihr Herz. Was hätte sie darum gegeben, wenn sie jetzt gleich mit ihm hätte sprechen können! Ja, es war sehr un­recht, daß sie es nicht gleich gethan hatte. War es nicht ein­fach ihre Pflicht gewesen, als sie die Gefahr bemerkte, ihn vor sich selbst zu warnen? Wenn er gefallen war trug sie dann nicht auch Schuld an seinem Fall? Ach, wenn er nur käme, wenn er nur endlich käme!

Der Reitknecht des Grafen, ein flotter junger Bursche, kehrte im ersten Morgengrauen von seinem Schatz nach Hause zurück. Es fröstelte ihn in der kalten Luft, und er schritt tüchtig aus.Diese Herren jene Herren meinen: Herrn kommt keiner gleich!" saug er mit Heller Stimme durch die Stille um ihn her.

Als er an das Pförtchen kam, stockte er. Da lag der Graf und schlief. Der Reitknecht beugte sich zu ihn: nieder, fuhr aber entsetzt zurück und flog dann wie ein Pfeil durch das Gebüsch den: Schlosse zu. Amalie hörte ihn unter den Fenstern vorüberlaufen.Wer läuft da?" sagte sie zur Gräfin gewendet und stieß das Fenster auf. Sie hörten, wie das Fenster des Dienerzimmers klirrend eingeschlagen wurde. Rasch, rasch," rief die Stimme des Reitknechts,kommt

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helft dein Grafen ist die Flinte losqeqanqen er liegt erschossen in: Park!"

XIII.

In: Sommer dieses Jahres klopfte ein junger Kurländer spät abends an die Thüre des Hotels in einem vielbesuchten tiroler Dorf. Er hatte einen zehnstündigen Marsch über die Berge gemacht und war todtmüde. Als ihn: die Thüre geöffnet wurde, hörte er in der dunkeln Vorhalle jemand in: ausge­sprochensten Dialekt seiner Heimat ausrufen:Erbarme Dich, ist das ein Schweinehund!" Froh, so unerwartet einen Lands­mann gefunden zn haben, und durch die charakteristische Aus­drucksweise höchlichst ergötzt, trat der Fremde näher.Ich will Hans heißen, wenn Sie nicht der Doktor Berg sind!" rief er lachend. Der Angeredete, der bisher mit den: in demüthiger Haltung vor ihn: stehenden Wirth verhandelt hatte, wandte sich rasch um.Guten Tag," sagte er,find Sie ein Lands­mann?"

Ja wohl. Erkennen Sie mich nicht?"

Pfui, nicht die Spur. Es ist ja hier stockrabenfinster. Wer sind Sie?"

Der Fremde nannte feinen Namen.

Na ja, wir kennen uns. Schön. Können Sie mir bis morgen Abend fünfhundert Gulden geben?"

Das nicht, aber dreihundert."

Danke. Hören Sie, Herr Mayr oder wie Sie Schwindler sonst heißen. Ich lege noch baare dreihundert Gulden zu."

Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, daß ich Ihnen die Erlaubniß nicht geben könnte, und wenn Sie mir dreitausend Gulden gäben. Ich habe schon sehr viele Engländer in: Hotel, und ich erwarte noch mehr. Ich würde sie alle verlieren."

Hol' Sie der Teufel! Kommen Sie." Der Doktor nahm den Arm des Fremden und stieg mit ihm die Treppe hinauf. Was haben Sie nur?" fragte dieser oben und blieb auf dem durch eine Oellampe nur spärlich erhellten Korridor stehen. Haben Sie schon Ihr Zimmer?" fragte der Doktor. Zwei Stiegen höher," erwiderte der Wirth, der ihnen gefolgt war.

Schön, kommen Sie."

Sie stiegen noch zwei Treppen hinauf und betraten ein kleines Zimmerchen. Der Wirth steckte eine Kerze in Brand und fragte, ob die Herrschaften noch etwas wünschten. Der Fremde verlangte eine Flasche Wein.Sie trinken doch mit?" fragte er.

,,Na ja, meinetwegen."

Als der Wirth das Zimmer Verlassei: hatte, fragte der Fremde wieder:Was haben Sie nur, Doktor?"

Der Doktor ging mit schweren Schritten ein paar Mal aus und ab, schneuzte sich und fuhr sich mit seinen: rothseidenen Taschentuch über die Augen.

Kennen Sie die Rotenhöfsche Frau?" fragte er und blieb vor den: Fremden stehen. Das Licht der Kerze schien ihn: hell ins Gesicht, das roth und entstellt aussah.

Bester Doktor," erwiderte der Gefragte,es gab eine Zeit, in der ich von jederscheu Frau wußte, wer sie war; aber ich bin so lange aus der Heimat fort, es sind mittler­weile so viele Rotenhöfsche Frauen Schwarzeuhöfsche geworden und umgekehrt, und so viele junge Frauen an die Stelle ihrer Mütter oder Schwiegermütter gerückt, daß ich nicht mehr Be­scheid weiß. So viel mir erinnerlich ist, gehörte Rotenhof früher einem Polderkamp, der auf der Jagd verunglückte, und dieser hatte es von einen: Fremden gekauft, Hamilton oder Douglas, was weiß ich."

Na ja, Campbell hieß er, und er hat es nicht verkauft, sondern seiner Tochter mitgegeben. Aber einerlei."

Der Doktor machte wieder ein paar Schritte, setzte sich daun auf das Bett, stützte den Arm auf das Knie und legte den Kopf auf die Hand.Die Sache ist die," sagte er.Wir waren mit den alten Campbells, der Gräfin Polderkamp und den jungen Gräfinnen in Innsbruck. Von dort aus machten die Gräfin und ich einen Ausflug in die Berge hierher. Vor zwei Stunden ungefähr starb die Gräfin. Ich habe einen Boten