Heft 
(1878) 09
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ausdrückte,die Nachtmütze des Philisters auf Ruhe uud Ord­nung wies", und daß selbige nur da noch eine ernsthaftere Physiognomie zeigten, wo sie, wie das Unternehmen des Herrn Bamberger und der Aufstand in Elberfeld, schon zu jener Zeit einen sozialistischen Beigeschmack hatten.

Diesen letzteren Beigeschmack nahm die Straßenemeute je länger desto mehr auch in Berlin an, wenn auch noch nicht mit einem bewußten sozialistischen Programm, so doch mit einem sich steigernden Gegensätze der nichtbesitzenden gegen die be­sitzende Klasse.

Kenn; Stanteys Expedition durch Eentrataftika 18741877. N7"5./7i°7«!

i.

Es war 1872, als die Welt zum ersten Male mit dem Namen Stanley überrascht wurde, und kaum hatte der unter­nehmende Mann kurz und bündig auf telegraphischem Wege gemeldet: er, der Zeitungsreporter, habe den verschollenen Living- stone im Innern Afrikas aufgefunden undinterviewt", als es von allen Seiten erscholl:Das ist frecher Aankeehumbug." Lange Zeit bedurfte es, ehe die Zweifler zur Ruhe gebracht wurden; heute aber steht derselbe Stanley, nachdem es ihm geglückt, den Kongo, einen der Riesenströme der Erde, zuerst zu befahren, als einer der größten afrikanischen Entdeckungs­reisenden da, dessen Namen in der Geschichte der Erdkunde neben denen eines Livingstone, Speke, Burton, Barth, Schwein- fnrth, Nachtigal glänzen wird.

Vergegenwärtigen wir uns kurz, wie es kam, daß Stanley ein Afrikareisender wurde.

Bennett, der Eigenthümer desNew-Iork Herald", hatte seinen Wanderkorrespondenten Stanley nach Paris, wo er sich gerade aufhielt, berufen. Es mußte neuer fesselnder Stoff für die Zeitung geschafft werden, und da war Stanley der richtige Mann. Sein Auftrag lautete zu besuchen und zu schildern: den Chedive und den Snezkanal, den Nil, Jerusalem, den Sultan und Konstantinopel, die Krim, den Kaukasus, das kaspische Meer, Persepolis, Bagdad, Persien und Indien. End­lich sollte er den verschollenen Livingstone in Jnnerafrika suchen. Gewiß ein Auftrag, wie ihn noch kein Zeitnngskorrespondent erhielt. Aber Stanley sagteJa!" und reiste ab.

Das ereignete sich im Oktober 1869, und im Januar 1871 bereits, also nach fünf Viertel Jahren, war er den Nil auf­wärts gefahren bis zur Insel Philae, er war in der heiligen Grabkirche zu Jerusalem gewesen, hatte mit dem Gesandten der Vereinigten Staaten die Moscheen Konstantinopels besucht, auf den zerstörten Wällen Sebastopols gestanden, mit dem Civil- gouvernenr des Kaukasus in Tiflis dinirt, in der russischen Ge­sandtschaft zu Teheran in Persien gewohnt, seinen Namen auf die Ruinen von Persepolis geschrieben, war durch Persien nach Indien gereist und von Bombay über die Insel Mauritius nach Sansibar an die ostafrikanische Küste. Für gewöhnliche Sterb­liche war das eine große Leistung für Stanley war es nur eine Vorbereitung.

In Sansibar organisirte Stanley seine Expedition zur Aufsuchung Livingstones. Mit 192 Menschen bricht er auf. Das war am 26. März 1871 und am 10. November desselben Jahres trifft er zu Udschidschi am Tanganjikasee ein. Die Flagge der Vereinigten Staaten wird entfaltet, es knattern die Salven seiner Leibwache, eine große Menschenmenge strömt dem neuen Ankömmlinge entgegen, hastig windet er sich durch dieselbe hindurch und steht vor dem abgemagerten, graubärtigen alten Livingstone. Er hat ihn, nachdem er 236 Tage unterwegs ge­wesen, gefunden!

Stanley erzählt uns, daß er Livingstoneals ein großes Item" für seine Zeitung betrachtete.Ich beabsichtigte, eine Unterredung mit ihm zu halten, alle Einzelheiten, die er sagte, aufzuschreiben, sein Leben und seine Person zu schildern, dann NU rsvoir zu sagen und zurückzumarschiren." Aber aus dem bloßen Zusammensein mit Livingstone entsprang allmählich eine Freundschaft, eine Hochachtung für dasgroße Item", und nach­dem der Reporter Blut geleckt, nachdem er mit Livingstone eine Reise nach dem noch unerforschten Nordende des Tanjanjikasees gemacht, ward ans dem Berichterstatter ein Afrikareisender. Die erste Expedition war ein rein commerzielles Unternehmen gewesen, kühn geplant, tüchtig, voller Energie und muthvoll aus­geführt. So thener sie war, machte sie sich doch bezahlt, denn

XIV. Jahrgang, g. n*

der Verleger desNew-Iork Herald" taxirte den direkten Nutzen, den er durch Stanleys Berichte gewann, auf nicht weniger als 50,000 Dollars.

Am 14. Mürz 1872 nahmen Livingstone und Stanley in Jnnerafrika Abschied von einander, und am 6. Mai war Stanley, nachdem er aufs ruhmvollste seine Ausgabe gelöst, wieder in Sansibar. Ehe Stanley nach Hause znrückkehrte, fielen die Neider und Verkleineren über ihn her; doch wie bald mußten sie ver­stummen, als er schon im August in Europa eintraf und nun hier eine ganz unerwartete Energie und Thätigkeit entwickelte. Er schrieb Dutzende von Zeitungsartikeln, er trat in zahllosen Versammlungen und bei eben so zahllosen Zweckessen zu seiner Ehre als Festredner ans, er war bei der Königin Viktoria und erhielt von dieser eine goldene Dose mit Brillanten, er bereiste England, Schottland und ließ bereits anfangs November desselben Jahres einen reich illustrirten, mit Karten versehenen 720 Seiten starken Band erscheinen, in welchem er schildert, wie ich Livingstone fand".

In dem Manne steckt eine unbesiegbare Thatkraft! Wer möchte ihm gleiches nachmachen! Stanley war damals 30 Jahre alt; er zeigte ein prächtiges Erzählertalent, eine erstaunliche Frische, einen großen Fleiß, Muth und Selbstverleugnung. Freilich flüchtig war seine Arbeit, der wissenschaftliche Gehalt nicht allzugroß. Wer hätte aber von einem Zeitungskorrespon­denten billiger Weise mehr verlangen können?

Aber das Zeug zu einem Pionierreisenden ersten Ranges steckte in ihm. Er wußte, wie der schwarze Erdtheil zu be­siegen sei, wie man ihm seine Geheimnisse abringen müsse. Ute Lllockm, lliü snltn!Ich will dem Rest der Mysterien den Schleier entreißen," so sprach er. Und aus dem Reporter wurde nun ein bewußter Entdeckungsreisender.

Es ist ein hohes, nicht zu unterschätzendes Verdienst, welches sich zwei Zeitungen erwarben, daß sie auf gemeinschaft­liche Kosten Stanley nun zu weiteren Entdeckungsreisen nach Afrika sandten. DerNew-Jork Herald" und der in London erscheinendeDaily Telegraph" waren es, die dem Reisenden die nöthigen Mittel gewährten, so daß dieser schon 1874, nach­dem er seine Ausbildung weiter vervollständigt hatte, nach der afrikanischen Ostküste aufbrechen konnte. Nachdem er einige Küstenfahrten unternommen, organisirte er zu Sansibar seine Karavane und brach mit 300 Mann im November 1874 von dem Küstenstädtchen Bagamoyo aus nach dem Innern auf. Der erste Zweck seiner Reise galt der Erforschung des großen Ukerewesees (oder Viktoria-Nianza), den sein Entdecker Speke nur in rohen Umrissen in die Karte einzutragen vermocht hatte; namentlich war die ganze Ostküste dieses ungeheuren Wasser­beckens noch unbekannt.

Nach einem an Abenteuern und Gefahren überreichen Marsche von etwas über hundert Tagen stand er am 27. Fe­bruar 1875 bei Kagehgi am Südende des Sees, ganz nahe der Stelle, an welcher derselbe 1858 von Speke entdeckt wor­den war.

In einem zerlegbaren mitgeführten Bote, derLady Alice" führte Stanley nun in den Monaten März bis Mai 1875 eine vollständige Rundfahrt um den See aus. Was dies bedeuten will, erkennen wir, wenn wir bedenken, daß dieser Quellsee des Nil eine Flächenansdehnung besitzt, welche größer als jene des Königreichs Baiern ist. An seinen golfreichen Gestaden er­heben sich bis 1000 Meter hohe Berge, zahlreiche Ströme fallen von allen Seiten in ihn hinein, dichtgedrängte Inseln bilden Archipele und eine große Bevölkerung belebt die Ufer. Im Norden, wo der Nil den See verläßt, liegt das mächtige Reich Uganda mit zwei Millionen Einwohnern, über welches