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der König Mtesa gebietet. Diesem Manne, den wir bereits aus Spekes Reise st861) kennen, stattete Stanley einen Besuch ab. Er fand ihn im Schatten des Andienzhauses auf seinem Thron sitzend, im Halbkreise von etwa hundert seiner Großwürdenträger und Häuptlinge umgeben, sämmtlich in reicher arabischer Tracht, während hinter ihm seine Leibwache von 200 Mann und die königlichen Speer-, Schild- und Gewehrträger standen. Als Stanley sich näherte, stand der König auf, und als beide sich stumm die Hände drückten, erhob sich ein betäubender Lärm von Trommeln, Pfeifen und Gewehrsaloen. Mtesa, König von Uganda, war damals 34 Jahre alt, hoch und schlank, aber breitschulterig, mit großen Augen und einem angenehmen Gesichte voller Intelligenz und Milde, mehr einem Araber, als einem Eingeborenen Centralasrikas gleich. Seine Manieren und Geberden erschienen anmuthig, artig und freundlich, was um so auffallender ist, als Stanley erst der vierte Weiße war, den er sah. Speke und Grant fanden ihn im Jahre 1861 als rohen, eitlen Wilden und Heiden. Im Jahre 1870 aber war er mit seiner ganzen Umgebung zum Islam übergetreten, kleidete und betrug sich arabisch, und hatte alle früheren täglichen Blutbäder von Männern und Weibern, sowie sonstige grausame Strafen abgeschafst. Stanley behauptet, ihm einige Ideen des Christenthnms, die zehn Gebote, das Vaterunser n. s. w. beigebracht zu haben, und forderte in Mtesas Namen mit genauen Instruktionen englische Missionare auf, nach Uganda, als einem lohnenden Arbeitsfelde, zu kommen, eine Aufforderung, welcher die Kirchenmissionsgesellschaft in London auch bereits nachgekommen ist.
Am vierten Tage nach Stanleys Ankunft bei Mtesa langte dort der ägyptische Oberst Linant de Bellesonds, von Norden kommend, an, um für den Vizekönig von Aegypten mit Mtesa einen Handelsvertrag abzuschließen. So reichten sich denn hier, im Herzen Afrikas, zwei Weiße die Hände, von denen der eine vom Mittelmeer den Nil aufwärts, der andere vom Indischen Ocean hierhergekommen war, zu einem barbarischen Herrscher, dessen Name uns erst 1862 durch Speke bekannt geworden war — das Ganze aber ein Zeichen, wie allmählich das Innere Afrikas in den Bereich europäischer Macht und Einwirkung, sei sie religiöser, politischer oder commerzieller Natur, einbezogen wird.
Stanley setzte dann in der „Lady Alice" seine Umschiffung des Ukerewe, der Westküste entlang, fort, anfangs begleitet von der über 30 Canoes zählenden, von einem „Admiral" befehligten Flotte des Königs Mtesa. Vielfach klagt der Reisende in seinen Briefen über die verrätherische Handlungsweise der Eingeborenen an der Westküste, wodurch er mehr als . einmal in Lebensgefahr versetzt, und schließlich zu einem regelrechten Feldzuge gegen die Bewohner der Insel Bambireh gezwungen wurde, welche seine Leute mörderisch angefallen hatten. Mit einer Kriegsmacht von 50 mit Gewehren und 250 mit Speeren bewaffneten Leuten fuhr er in 18 Canoes nach Bambireh. Die Wilden waren jedoch nicht unvorbereitet; denn auf jedem Hügel stand ein Wachtposten. Es kann nicht unser Zweck sein, die von Stanley angewandten strategischen Manöver hier zu schildern — es genüge die Thatsache, daß in dem sich entspinnenden Gefechte die Gewehrsalven den Eingeborenen, welche mit Speeren, Bogen und Schleudern ihre Insel tapfer verteidigten, und zur Verhinderung eines Landungversuches dicht an den See herabkamen, ein Verlust von 42 Todten und über 100 Verwundeten beigebracht wurde. Ans Stanleys Seite fielen nur zwei Verwundungen durch geschlenderte Steine vor.
Nach dieser Züchtigung (deren Notwendigkeit in Europa stark in Zweifel gezogen wird) verließ Stanley den großen Ukerewe-See und wandte sich in nordwestlicher Richtung durch das Land Unjoro nach dem Schwestersee, dem 1864 durch Baker entdeckten Mwutan (Albert-See) dessen Südende uns heute noch nicht näher bekannt ist. Am 5. Januar 1876 überschritt er die Grenze von Unjoro, und erlangte bald einen Blick auf den 4000—5000 Meter (Montblanchöhe) hohen Gambaragara- Berg, der mitten zwischen beiden Seen liegt und oft, wenn auch nicht während des ganzen Jahres, mit Schnee bedeckt ist. Was Stanley hierauf über die hellfarbigen Bewohner dieses
Berges sagt, ist von so hohem Interesse, daß wir die betreffende Stelle hier ausziehen wollen: „Auf seinem Gipfel wohnt ein Volk von europäischer Hautfarbe. Ich habe etwa ein halbes Dutzend derselben gesehen. Es ist ein schöner Menschenschlag, und manche der Frauen ist merkwürdig hübsch. Das Haar ist wellig, mit einem Anflug ins Braune. Die Gesichtszüge sind regelmäßig, die Lippen schmal, aber die Nase, obgleich wohlgeformt, ist an der Spitze etwas dick. Ich habe nicht erfahren können, wo dieses sonderbare Volk herkommt. Bei dem Nahen einer einfallenden Macht ziehen sie sich bis auf den Gipfel des Berges zurück, dessen durchdringende Kälte selbst dem entschlossensten ihrer Feinde Trotz bietet. Vor zwei Jahren (1874) schickte „Kaiser" Mtesa seinen ersten Minister mit 100,000 Mann nach Gambaragara, aber obwohl der große General die Abhänge des Berges einnahin und eine weite Strecke zur Verfolgung Hinanstieg, zwang ihn endlich das rauhe Klima zur Umkehr, ohne daß er mehr als ein paar schwarze Sklaven gefangen hatte. Es scheint, daß der Berg ein ausgebrannter Vulkan ist, denn auf der Spitze ist ein krystallheller See von 500 Ellen Länge, aus dessen Mitte sich ein säulenartiger Felsen zu großer Höche erhebt. Ein Steinrand umgibt den Gipfel wie eine Mauer, innerhalb welcher mehrere Dörfer sind, in denen der Hauptmedicinmann und sein Volk wohnen. Zwei Männer dieses Stammes begleiteten unsere Expedition zum Albertsee und zurück; aber sie waren wenig mittheilsam, und ich konnte von ihnen nichts über die Geschichte ihrer Nation erfahren. Ihre Nahrung bestand aus Milch und Bananen. Ein anderes Exemplar dieses weißhäutigen Volkes, einen Bruder des Königs von Gambaragara, sah ich am Hofe Mtesas. Als ich den Mann zuerst sah, hielt ich ihn für einen jungen Araber aus Kairo, der aus unbekannten Gründen in Uganda lebte, und erst nachdem ich mehrere Leute von derselben blassen Farbe gesehen, konnte ich glauben, daß im Herzen von Afrika, fern von den Wegen der Reisenden und Handelskarawanen, ein großes und zahlreiches Volk von dieser eigenthümlichen Farbe lebte. Hätten sie nicht negerartiges Haar, so würde ich sagen, daß es Europäer oder hellfarbige Asiaten, wie z. B. Syrer oder Armenier, seien."
Nach dieser Entdeckung setzte Stanley seinen Marsch nach deni Mwutansee fort. Am 11. Januar 1876 lag derselbe, etwa 300 Meter unter ihm, zu seinen Füßen, einen großen Golf, die „Beatricebucht" bildend. Die feindselige Haltung der Eingeborenen und der Umstand, daß keine Canoes zu erhalten waren, zwangen neben anderen Gründen indessen Stanley, von einer Befahrung des Sees abzustehen. Der Marsch war nun wieder südlich gerichtet.
So, wie man den Bodensee nicht als Quelle des Rheins betrachtet, so kann auch der Ukerewesee nicht als die eigentliche Nilquelle gelten, sondern vielmehr der größte in diesen hineinfallende Fluß. An der Südküste hatte Stanley einen großen Fluß, den Schimiju, in den Ukerewe münden sehen und diesen anfangs für die wahre Nilquelle gehalten. Jetzt aber kam er an den an der Westküste einmündenden Kagera oder Kitan- gule, welchen er weiter verfolgte und 70 bis 120 Fuß tief fand. Er entwickelt sich aus einem nicht unbedeutenden See, den Stanley „Alexandrasee" taufte, und den er nun für die richtige Nilquelle ausgibt. Fragt man also nach dem heutigen Stande unserer geographischen Kenntnisse: „Wo liegt die eigentliche Quelle des Nils?" so lautet darauf die Antwort: „Zwischen dem zweiten und dritten Grade südlicher Breite und unter 31 " östlicher Länge von Greenwich im Akanjarn- oder Alexandrasee, dem der Kitangule, ein Zufluß des Ukerewe entströmt."
Nachdem der Reisende den Mwutan nicht zu erreichen vermocht, lockten ihn andere Probleme, die größten, die in Afrika noch zu lösen waren. Er wollte zu ergründen suchen, wohin die ungeheuren Wassermassen der Seen und Ströme, die 1868—70 von Livingstone westlich vom Tanganjikasee entdeckt worden waren, sich ergössen und ob dieselben, wie theoretisch der deutsche Geograph 'E. Behm nachgewiesen, den oberen Lauf des Congoflufses darstellten, von dem man nur die Mündung kannte. Löste Stanley dieses Problem, das